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bey unsern Flüchtlingen die gute Laune nicht selten ein, denn überraschende Vorfälle, neue Verhältnisse gaben den aufgespannten Gemüthern manchen Stoff zu Scherz und Lachen.

Bey der übereilten Flucht war das Betragen eines jeden charakteristisch und auffallend. Das eine ließ sich durch eine falsche Furcht, durch ein unzeitiges Schrecken hinreissen; das andere gab einer unnöthigen Sorge Raum, und alles, was dieser zu viel jener zu wenig that, jeder Fall wo sich Schwäche in Nachgiebigkeit oder Uebereilung zeigte, gab in der Folge Gelegenheit sich wechselseitig zu plagen und aufzuziehen, so daß dadurch diese traurige Zustände lustiger wurden, als eine vorsätzliche Lustreise ehemals hatte werden können.

Denn wie wir manchmal in der Comödie eine Zeitlang ohne über die absichtlichen Possen zu lachen, ernsthaft zuschauen können, dagegen aber sogleich ein lautes Gelächter entsteht, wenn in der Tragödie etwas Unschickliches vorkommt: so wird auch ein Unglück in der wirklichen Welt das die Menschen aus ihrer Fassung bringt gewöhnlich von lächerlichen, oft auf der Stelle, gewiß aber hinterdrein, belachten Umständen begleitet seyn.

Besonders mußte Fräulein Luise, die älteste Tochter der Baronesse, ein lebhaftes, heftiges und in guten Tagen herrisches Frauenzimmer sehr vieles leiden, da von ihr behauptet wurde, daß sie bey dem ersten Schrecken ganz aus der Fassung gerathen sey, in Zerstreuung, ja in einer Art von völligen Abwesenheit die unnützesten Sachen mit dem größten Ernste zum Aufpacken gebracht,

Empfohlene Zitierweise:
Johann Wolfgang von Goethe: Unterhaltungen deutscher Ausgewanderten. In: Die Horen 1795, Band 1–4. Cotta, Tübingen 1795, Seite 1-50. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Schiller_Die_Horen_1-1795.pdf/66&oldid=- (Version vom 1.8.2018)