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allgemeiner Verwirrung und Noth. Die bürgerliche Verfassung, sagte sie: scheint wie ein Schiff zu seyn, das eine grosse Anzahl Menschen, alte und junge, gesunde und kranke über ein gefährliches Wasser, auch selbst zu Zeiten des Sturms, hinüber bringt, nur in dem Augenblicke wenn das Schiff scheitert, sieht man wer schwimmen kann und selbst gute Schwimmer gehen unter solchen Umständen zu Grunde.

Wir sehen meist die Ausgewanderten ihre Fehler und alberne Gewohnheiten mit sich in der Irre herum führen und wundern uns darüber. Doch wie den reisenden Engländer der Theekessel in allen vier Welttheilen nicht verläßt, so wird die übrige Masse der Menschen von stolzen Anforderungen, Eitelkeit, Unmässigkeit, Ungeduld, Eigensinn, Schiefheit im Urtheil und der Lust ihrem Nebenmenschen tückisch etwas zu versetzen, überall hinbegleitet; der Leichtsinnige freut sich der Flucht wie einer Spatzierfahrt und der Ungenügsame verlangt daß ihm auch noch als Bettler alles zu Diensten stehe. Wie selten daß uns die reine Tugend irgend eines Menschen erscheint, der wirklich für andere zu leben, für andere sich aufzuopfern getrieben wird.

Indessen man nun mancherley Bekanntschaften machte, die zu solchen Betrachtungen Gelegenheit gaben, war der Winter vorbey gegangen. Das Glück hatte sich wieder zu den deutschen Waffen gesellt, die Franzosen waren wieder über den Rhein hinüber gedrängt, Frankfurt befreyt und Maynz eingeschlossen.

In der Hoffnung auf den weiteren Fortgang der siegreichen

Empfohlene Zitierweise:
Johann Wolfgang von Goethe: Unterhaltungen deutscher Ausgewanderten. In: Die Horen 1795, Band 1–4. Cotta, Tübingen 1795, Seite 1-54. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Schiller_Die_Horen_1-1795.pdf/70&oldid=- (Version vom 1.8.2018)