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der Nation, die nur vom Gesetz sprach, kennen gelernt und den Unterdrückungsgeist derer die das Wort Freyheit immer im Munde führten. Er hatte gesehen, daß auch in diesem Falle der grosse Haufe sich treu blieb, und Wort für That, Schein für Besitz mit grosser Heftigkeit aufnahm. Die Folgen eines unglücklichen Feldzugs, so wie die Folgen jener verbreiteten Gesinnungen und Meynungen blieben seinem Scharfblicke nicht verborgen, obgleich nicht zu leugnen war, daß er manches mit hypochondrischem Gemüthe betrachtete und mit Leidenschaft beurtheilte.

Seine Gemahlinn, eine Jugendfreundin der Baronesse, fand, nach so viel Trübsalen, einen Himmel in den Armen ihrer Freundin. Sie waren mit einander aufgewachsen, hatten sich mit einander gebildet, sie kannten keine Geheimnisse vor einander. Die ersten Neigungen junger Jahre, die bedenklichen Zustände der Ehe, Freuden, Sorgen und Leiden als Mütter, alles hatten sie sich sonst, theils mündlich, theils in Briefen, vertraut, und hatten eine ununterbrochene Verbindung erhalten. Nur diese letzte Zeit her waren sie durch die Unruhen verhindert worden, sich einander, wie gewöhnlich, mitzutheilen. Um so lebhafter drängten sich ihre gegenwärtige Gespräche, um destomehr hatten sie einander zu sagen, indessen die Töchter der Geheimeräthin ihre Zeit mit Fräulein Luisen in einer wachsenden Vertraulichkeit zubrachten.

Leider ward der schöne Genuß dieser reizenden Gegend oft durch den Donner der Kanonen gestöhrt, den man, je nachdem der Wind sich drehte, aus der Ferne deutlicher

Empfohlene Zitierweise:
Johann Wolfgang von Goethe: Unterhaltungen deutscher Ausgewanderten. In: Die Horen 1795, Band 1–4. Cotta, Tübingen 1795, Seite 1-56. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Schiller_Die_Horen_1-1795.pdf/72&oldid=- (Version vom 1.8.2018)