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ich mag nicht gerne befehlen, besonders so freygesinnten Menschen; aber einen Rath will ich geben und eine Bitte will ich hinzufügen.

Hofmeister. Und beydes soll uns ein unverbrüchliches Gesetz seyn.

Baronesse. Es wäre thörigt, wenn ich das Interesse abzulenken gedächte, das jedermann an den grossen Weltbegebenheiten nimmt, deren Opfer wir leider selbst schon geworden sind. Ich kann die Gesinnungen nicht ändern, die bey einem Jeden nach seiner Denkweise entstehen, sich befestigen, streben und wirken, und es wäre eben so thörigt als grausam zu verlangen, daß er sie nicht mittheilen sollte. Aber das kann ich von dem Zirkel erwarten, in dem ich lebe, daß Gleichgesinnte sich im Stillen zu einander fügen und sich angenehm unterhalten, indem der eine dasjenige sagt, was der andere schon denkt. Auf euren Zimmern, auf Spatziergängen und wo sich Uebereindenkende treffen, eröffne man seinen Busen nach Lust, man lehne sich auf diese oder jene Meynung, ja man geniesse recht lebhaft der Freude einer leidenschaftlichen Ueberzeugung. Aber, Kinder, in Gesellschaft laßt uns nicht vergessen, wieviel wir sonst schon, ehe alle diese Sachen zur Sprache kamen, um gesellig zu seyn, von unsern Eigenheiten aufopfern mußten, und daß jeder so lange die Welt stehn wird, um gesellig zu seyn, wenigstens äusserlich sich wird beherrschen müssen. Ich fordere euch also nicht im Namen der Tugend, sondern im Namen der gemeinsten Höflichkeit auf: das mir und andern in diesen Augenblicken zu leisten, was ihr von Jugend auf, ich darf fast sagen, gegen einen jeden beobachtet habt, der euch auf der Strasse begegnete.

Empfohlene Zitierweise:
Johann Wolfgang von Goethe: Unterhaltungen deutscher Ausgewanderten. In: Die Horen 1795, Band 1–4. Cotta, Tübingen 1795, Seite 1-66. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Schiller_Die_Horen_1-1795.pdf/82&oldid=- (Version vom 1.8.2018)