Seite:Schiller Die Horen 1-1795.pdf/96

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Die Horen - eine Monatsschrift, 1. Band

völlig unabhängig von dem Innhalt und den Folgen jener Wahrheit und dieses Irrthums. Aus wiederhohlten Gefühlen der gleichen Art entsteht ein Interesse für Wahrheit überhaupt. Ein solches Interesse läßt sich daher nicht hervorbringen; es gründet sich der Anlage nach auf das Wesen der Vernunft, und wird seinen Aeusserungen nach, in der Erfahrung durch die Welt ausser uns ohne unser wissentliches Zuthun geweckt: aber man kann dieses Interesse erhöhen.

Dies geschieht durch Freiheit, wie jede sittliche Handlung. Aber alle Regeln für Anwendung der Freiheit setzen die Anwendung derselben schon voraus; und man kann vernünftiger Weise nur demjenigen zurufen: gebrauche deiner Freiheit, der dieselbe schon gebraucht hat. Dieser erste Akt der Freiheit, dieses Losreissen aus den Ketten der Naturnothwendigkeit geschieht, ohne daß wir selbst wissen, wie. So wenig wir uns des erstes Schritts in das Reich des Bewußtseyns überhaupt bewußt werden, eben so wenig werden wir uns unsers Uebertritts in das Reich der Moralität bewußt. Irgend woher fällt ein Feuer-Funke in unsre Seele, der vielleicht lange in heimlichem Dunkel glüht. Er erhebt sich, er greift umher, er wird zur Flamme, bis er endlich die ganze Seele entzündet.

Jedes praktische Interesse im Menschen erhält und belebt sich selbst; darin besteht sein Wesen. Jede Befriedigung verstärkt es, erneuert es, hebt es mehr hervor im Bewußtseyn. Gefühl des erweiterten Bedürfnisses ist der einzige Genuß für das endliche Wesen. Die Hauptvorschrift zu Erhöhung jedes Interesse im Menschen, mithin

Empfohlene Zitierweise:
: Die Horen - eine Monatsschrift, 1. Band. Cotta, Tübingen 1795, Seite 1-80. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Schiller_Die_Horen_1-1795.pdf/96&oldid=- (Version vom 1.8.2018)