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Als ein verständiger und gerechter Mann fühlte er wohl das Unrecht, das er mir durch seine Entfernung anthat; er begrif, daß ein junges Weib nicht wie Juwelen und Perlen verwahrt werden könne. Er wußte, daß sie vielmehr einem Garten voll schöner Früchte gleicht, die für jedermann, so wie für den Herrn verloren wären, wenn er eigensinnig die Thüre auf einige Jahre verschließen wollte. Er sprach mir daher vor seiner Abreise sehr ernstlich zu, er versicherte mich, daß ich ohne Freund nicht würde leben können, er gab mir dazu nicht allein die Erlaubniß, sondern er drang in mich und nöthigte mir gleichsam das Versprechen ab, daß ich der Neigung, die sich in meinem Herzen finden würde, frey und ohne Anstand folgen wollte.

Sie hielt einen Augenblick inne, aber bald gab ihr ein vielversprechender Blick des jungen Mannes Muth genug in ihrem Bekenntniß fortzufahren.

Eine einzige Bedingung fügte mein Gemahl zu seiner übrigens so nachsichtigen Erlaubniß. Er empfahl mir die äußerste Vorsicht und verlangte ausdrücklich, daß ich mir einen gesetzten, zuverläßigen, klugen und verschwiegnen Freund wählen sollte. Ersparen Sie mir das übrige zu sagen, mein Herr, ersparen Sie mir die Verwirrung, mit der ich Ihnen bekennen würde, wie sehr ich für Sie eingenommen bin und errathen Sie aus diesem Zutrauen meine Hoffnungen und meine Wünsche.

Nach einer kurzen Pause versetzte der junge liebenswürdige Mann mir gutem Bedachte: wie sehr bin ich Ihnen für das Vertrauen verbunden, durch welches Sie

Empfohlene Zitierweise:
Johann Wolfgang von Goethe: Unterhaltungen deutscher Ausgewanderten. In: Die Horen 1795, Band 1–4. Cotta, Tübingen 1795, Seite 4-59. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Schiller_Die_Horen_2-1795.pdf/67&oldid=- (Version vom 1.8.2018)