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mich in einem so hohen Grade ehren und glücklich machen. Ich wünsche nur lebhaft, Sie zu überzeugen, daß Sie sich an keinen Unwürdigen gewendet haben. Lassen Sie mich Ihnen zuerst als Rechtsgelehrter antworten, und als ein solcher gesteh ich Ihnen, daß ich Ihren Gemahl bewundere, der sein Unrecht so deutlich gefühlt und eingesehen hat: denn es ist gewiß, daß ein solcher, der ein junges Weib zurück läßt um ferne Weltgegenden zu besuchen, als ein solcher anzusehen ist, der irgend ein anderes Besitzthum völlig derelinquirt und durch die deutlichste Handlung auf alles Recht daran Verzicht thut. Wie es nun dem ersten besten erlaubt ist eine solche völlig ins Freye gefallene Sache wieder zu ergreifen; so find ich um so mehr natürlich und billig, daß eine junge Frau, die sich in diesem Zustande befindet, ihre Neigung abermals verschenke, und sich einem Freunde, der ihr angenehm und zuverläßig scheint, ohne Bedenken überlasse.

Tritt nun aber gar, wie hier, der Fall ein, daß der Ehemann selbst, seines Unrechtes sich bewußt, mit ausdrücklichen Worten seiner hinterlassenen Frau dasjenige erlaubt, was er ihr nicht verbieten kann; so bleibt gar kein Zweifel übrig, um so mehr, da demjenigen kein Unrecht geschieht, der es willig zu ertragen erklärt hat.

Wenn Sie mich nun, fuhr der junge Mann mit ganz andern Blicken und dem lebhaftesten Ausdrucke fort, indem er die schöne Freundin bey der Hand nahm, wenn Sie mich zu Ihrem Diener erwählen, so machen Sie mich mit einer Glückseligkeit bekannt, von der ich bisher keinen Begriff hatte. Seyn Sie versichert, rief er aus,

Empfohlene Zitierweise:
Johann Wolfgang von Goethe: Unterhaltungen deutscher Ausgewanderten. In: Die Horen 1795, Band 1–4. Cotta, Tübingen 1795, Seite 4-60. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Schiller_Die_Horen_2-1795.pdf/68&oldid=- (Version vom 1.8.2018)