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und ward es nur mehr als das gute natürliche Mädchen, die wir schon kennen, ihn als Gattin beglückte, und der alte Oheim alles that seine häusliche Lage zu sichern und bequem zu machen.

Ich habe ihn in spätern Jahren kennen lernen, umgeben von einer zahlreichen wohlgebildeten Familie. Er hat mir seine Geschichte selbst erzählt und wie es Menschen zu gehen pflegt, denen irgend etwas bedeutendes in früherer Zeit begegnet, so hatte sich auch jene Geschichte so tief bey ihm eingedruckt, daß sie einen großen Einfluß auf sein Leben hatte. Selbst als Mann und Hausvater pflegte er sich manchmal etwas das ihm Freude würde gemacht haben, zu versagen, um nur nicht aus der Uebung einer so schönen Tugend zu kommen, und seine ganze Erziehung bestand gewissermaßen darin, daß seine Kinder sich gleichsam aus dem Stegreife etwas mußten versagen können.

Auf eine Weise die ich im Anfang nicht billigen konnte untersagte er, zum Beyspiel, einem Knaben bey Tische von einer beliebten Speise zu essen. Zu meiner Verwunderung blieb der Knabe heiter, und es war als wenn weiter nichts geschehen wäre.

Und so liessen die ältesten aus eigener Bewegung manchmal ein edles Obst oder sonst einen Leckerbissen vor sich vorbeygehen; dagegen erlaubte er ihnen ich möchte wohl sagen alles, und es fehlte nicht an Arten und Unarten in seinem Hause. Er schien über alles gleichgültig zu seyn und ließ ihnen eine fast unbändige Freyheit; nur fiel es ihm die Woche einmal ein, daß alles auf die

Empfohlene Zitierweise:
Johann Wolfgang von Goethe: Unterhaltungen deutscher Ausgewanderten. In: Die Horen 1795, Band 1–4. Cotta, Tübingen 1795, Seite 9-49. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Schiller_Die_Horen_3-1795.pdf/259&oldid=- (Version vom 1.8.2018)