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Minute geschehen mußte, alsdann wurden des Morgens gleich die Uhren regulirt, ein jeder erhielt seine Ordre für den Tag, Geschäfte und Vergnügungen wurden gehäuft und niemand durfte eine Sekunde fehlen. Ich könnte Ihnen stundenlang von seinen Gesprächen und Anmerkungen über diese sonderbare Art der Erziehung unterhalten. Er scherzte mit mir als einem catholischen Geistlichen über meine Gelübde und behauptete, daß eigentlich jeder Mensch sowohl sich selbst Enthaltsamkeit als andern Gehorsam geloben sollte; nicht um sie immer, sondern um sie zur rechten Zeit auszuüben.

Die Baroneß machte eben einige Anmerkungen und gestand, daß dieser Freund im Ganzen wohl recht gehabt habe; denn so komme auch in einem Reiche alles auf die executive Gewalt an; die Gesetzgebende möge so vernünftig seyn als sie wolle, es helfe dem Staate nichts, wenn die ausführende nicht mächtig sey.

Luise sprang ans Fenster, denn sie hörte Friedrichen zum Hofe hereinreiten. Sie gieng ihm entgegen und führte ihn ins Zimmer. Er schien heiter, ob er gleich von Scenen des Jammers und der Verwüstung kam, und anstatt sich in eine genaue Erzählung des Brandes einzulassen, der das Haus ihrer Tante betroffen, versicherte er, daß es ausgemacht sey, daß der Schreibetisch zu eben der Stunde dort verbrannt sey, da der ihrige hier so heftige Sprünge bekommen hatte.

In eben dem Augenblicke, sagte er, als der Brand sich schon dem Zimmer näherte rettete der Verwalter noch eine Uhr, die auf eben diesem Schreibtische stand. Im

Empfohlene Zitierweise:
Johann Wolfgang von Goethe: Unterhaltungen deutscher Ausgewanderten. In: Die Horen 1795, Band 1–4. Cotta, Tübingen 1795, Seite 9-50. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Schiller_Die_Horen_3-1795.pdf/260&oldid=- (Version vom 1.8.2018)