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Casse des Vaters, um Ausgaben zu bestreiten, zu denen ihn keine Leidenschaften nöthigten. Er war oft allein und die gute Seele schien die Oberhand zu gewinnen. Er erstaunte über sich selbst bey ruhigem Nachdenken, wie er jene Sophistereyen über Recht und Besitz, über Ansprüche an fremdes Guth und wie die Rubriken alle heißen mochten, bey sich auf eine so kalte und schiefe Weise habe durchführen und dadurch eine unerlaubte Handlung beschönigen können. Es ward ihm nach und nach deutlich, daß nur Treue und Glauben die Menschen schätzenswerth machen, daß der Gute eigentlich leben müsse, um alle Gesetze zu beschämen, indem ein anderer sie entweder umgehen, oder zu seinem Vortheil gebrauchen mag.

Inzwischen eh diese wahren und guten Begriffe bey ihm ganz klar wurden und zu herrschenden Entschlüssen führten, unterlag er doch noch einigemal der Versuchung, aus der verbotenen Quelle in dringenden Fällen zu schöpfen. Niemals that er es aber ohne Widerwillen, und nur wie von einem bösen Geiste an den Haaren hingezogen.

Endlich ermannte er sich und faßte den Entschluß, vor allen Dingen die Handlung sich unmöglich zu machen und seinen Vater von dem Zustande des Schlosses zu unterrichten. Er fing es klug an und trug den Kasten mit den nunmehr geordneten Briefen in Gegenwart seines Vaters durch das Zimmer, beging mit Vorsatz die Ungeschicklichkeit, mit dem Kasten wider den Schreibtisch zu stossen, und wie erstaunte der Vater, als er den Deckel auffahren sah. Sie untersuchten beyde das

Empfohlene Zitierweise:
Johann Wolfgang von Goethe: Unterhaltungen deutscher Ausgewanderten. In: Die Horen 1795, Band 1–4. Cotta, Tübingen 1795, Seite 7-64. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Schiller_Die_Horen_3-1795.pdf/72&oldid=- (Version vom 1.8.2018)