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gerade zum Gegentheil ausgelegt werden sollte. Wenn ihn jene Vorstellungen zu einer dunkeln Verzweiflung brachten, indem er bekennen mußte, daß er sein Schiksal verdient hatte, so ward er durch diese aufs innigste gerührt, indem er die traurige Wahrheit erfuhr, daß eine Uebelthat selbst gute Bemühungen zu Grunde zu richten im Stande ist. Diese Rückkehr auf sich selbst, diese Betrachtung daß das edelste Streben vergebens seyn sollte, machte ihn weich; er wünschte nicht mehr zu leben.

In diesen Augenblicken dürstete seine Seele nach einem höhern Beystand. Er fiel an seinem Stuhle nieder, den er mit seinen Thränen benetzte, und forderte Hülfe vom göttlichen Wesen. Sein Gebet war eines erhörenswerthen Innhalts: der Mensch, der sich selbst vom Laster wieder erhebt, habe Anspruch auf eine unmittelbare Hülfe, derjenige, der keine seiner Kräfte ungebraucht lasse, könne sich da, wo sie eben ausgehen, wo sie nicht hinreichen, auf den Beystand des Vaters im Himmel berufen.

In dieser Ueberzeugung, in dieser dringenden Bitte verharrte er eine Zeitlang und bemerkte kaum, daß seine Thüre sich öffnete und jemand hereintrat. Es war die Mutter, die mit heiterm Gesichte auf ihn zukam, seine Verwirrung sah und ihn mit tröstlichen Worten anredete. Wie glücklich bin ich, sagte sie, daß ich dich wenigstens als keinen Lügner finde, und daß ich deine Reue für wahr halten kann. Das Gold hat sich gefunden, der Vater, als er es von einem Freunde wieder erhielt, gab es dem Cassier aufzuheben, und durch die vielen Beschäftigungen des Tages zerstreut, hat er es vergessen. Mit dem Silber stimmt deine Angabe ziemlich zusammen,

Empfohlene Zitierweise:
Johann Wolfgang von Goethe: Unterhaltungen deutscher Ausgewanderten. In: Die Horen 1795, Band 1–4. Cotta, Tübingen 1795, Seite 7-75. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Schiller_Die_Horen_3-1795.pdf/83&oldid=- (Version vom 1.8.2018)