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Die Weissagung von der Brücke ist erfüllt! rief sie aus, fragt nur diese gute Frau wie herrlich der Bogen gegenwärtig erscheint. Was sonst undurchsichtiger Jaspis, was nur Prasem war, durch den das Licht höchstens auf den Kanten durchschimmerte, ist nun durchsichtiger Edelstein geworden. Kein Beryll ist so klar und kein Smaragd so schön farbig.

Ich wünsche euch Glück dazu, sagte Lilie, allein verzeihet mir wenn ich die Weissagung noch nicht erfüllt glaube. Ueber den hohen Bogen eurer Brücke können nur Fußgänger hinüber schreiten und es ist uns versprochen, daß Pferde und Wagen und Reisende aller Art zu gleicher Zeit über die Brücke herüber und hinüber wandern sollen. Ist nicht von den grossen Pfeilern geweissagt, die aus dem Flusse selbst heraussteigen werden?

Die Alte hatte ihre Augen immer auf die Hand geheftet, unterbrach hier das Gespräch und empfahl sich. Verweilt noch einen Augenblick sagte die schöne Lilie, und nehmt meinen armen Canarienvogel mit. Bittet die Lampe, daß sie ihn in einen schönen Topas verwandle, ich will ihn durch meine Berührung beleben und er, mit Eurem guten Mops, soll mein bester Zeitvertreib seyn; aber eilt was Ihr könnt, denn mit Sonnenuntergang ergreift unleidliche Fäulniß das arme Thier und zerreißt den schönen Zusammenhang seiner Gestalt auf ewig.

Die Alte legte den kleinen Leichnam zwischen zarte Blätter in den Korb und eilte davon.

Wie dem auch sey, sagte die Schlange indem sie das abgebrochene Gespräch fortsetzte, der Tempel ist erbauet.

Empfohlene Zitierweise:
Johann Wolfgang von Goethe: Unterhaltungen deutscher Ausgewanderten. In: Die Horen 1795, Band 1–4. Cotta, Tübingen 1795, Seite 10-130. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Schiller_Die_Horen_4-1795.pdf/138&oldid=- (Version vom 1.8.2018)