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ganz bleiben wenn der Mensch sich setzt, dagegen blieben die Gelenke, die sich hätten biegen sollen, steif. Wer nicht lachen konnte, muste seine Augen wegwenden, das Mittelding zwischen Form und Klumpen war widerwärtig anzusehn.

Der Mann mit der Lampe führte nunmehr den schönen aber immer noch starr vor sich hinblickenden Jüngling vom Altare herab, und grade auf den ehernen König los. Zu den Füßen des mächtigen Fürsten lag ein Schwerdt, in eherner Scheide. Der Jüngling gürtete sich – Das Schwerdt an der Linken, die Rechte frey! Rief der gewaltige König. Sie giengen darauf zum silbernen, der sein Scepter gegen den Jüngling neigte. Dieser ergriff es mit der linken Hand, und der König sagte mit gefälliger Stimme: Weide die Schafe. Als sie zum goldenen Könige kamen, drückte er mit väterlich segnender Gebährde dem Jüngling den Eichencranz aufs Haupt und sprach: erkenne das Höchste.

Der Alte hatte während dieses Umgangs den Jüngling genau bemerkt. Nach umgegürtetem Schwerdt hob sich seine Brust, seine Arme regten sich und seine Füße traten fester auf; indem er den Scepter in die Hand nahm, schien sich die Krafft zu mildern und durch einen unaussprechlichen Reitz noch mächtiger zu werden; als aber der Eichencranz seine Locken zierte, belebten sich seine Gesichtszüge, sein Auge glänzte von unaussprechlichem Geist und das erste Wort seines Mundes war Lilie.

Liebe Lilie! rief er, als er ihr die silbernen Treppen

Empfohlene Zitierweise:
Johann Wolfgang von Goethe: Unterhaltungen deutscher Ausgewanderten. In: Die Horen 1795, Band 1–4. Cotta, Tübingen 1795, Seite 10-146. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Schiller_Die_Horen_4-1795.pdf/154&oldid=- (Version vom 1.8.2018)