Seite:Schneidewin Leutsch 03.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Max Schneidewin: Ernst von Leutsch: Ein Nekrolog

in Hannover selbst residirenden königs von Hannover, die Georgia Augusta erschütterten, sollten auch Leutsch in gewisser weise verhängnissvoll werden, da ihm sein damaliges oppositionelles, männliches auftreten die gunst der hannoverschen regierung bis zu deren ende hin empfindlich schmälerte. Leutsch gehörte nicht zu den berühmten Sieben, welche gegen die eigenmächtige königliche aufhebung des staatsgrundgesetzes von 1833 protestirten und in consequenz ihrer eidesverweigerung ihrer anstellungen an der universität Göttingen verlustig gingen, um bald an anderen deutschen hochschulen einen erweiterten ruhmvollen wirkungskreis zu finden. Aber er mit noch fünf anderen, O. Müller, F. W. Schneidewin, dem geschichtsschreiber der philosophie H. Ritter und den juristen Kraut und Thöl trennten sich doch durch einen gedruckten und an mehrere zeitungen versandten protest von den durch die mehrheit des akademischen lehrkörpers in einer ergebenheitsadresse an Ernst August ausgesprochenen gesinnungen, durch welche nicht ohne das odium eines anhauches von servilismus die Sieben desavouirt wurden. (Uebrigens war es auch streng genommen gar nicht die professorenschaft gewesen, welche jene addresse hatte emaniren lassen, sondern eine deputation derselben unter führung des schwachen prorectors, des juristen Bergmann, hatte eigenmächtig auf dem jagdschloss Rotenkirchen bei Einbeck, wo sich im nov. 1837 der könig aufhielt, dieselbe unter starker pression seitens der umgebung des königs verfasst und verlesen). Die Sechs also wurden seit jener zeit mehr oder weniger – Thöl wurde doch 1857 von der hannoverschen regierung durch abordnung in die commission zur abfassung des allgemeinen deutschen handelsgesetzbuches, die ihre sitzungen in Nürnberg hielt, ausgezeichnet – personae minus gratae bei dem „rector“ der universität und seinen ministerien. In diesem zusammenhange will ich doch sogleich von der politischen gesinnung unseres Leutsch bemerken, dass derselbe von anfang an unter seinen Göttinger collegen einer der entschiedensten anhänger der 1866 geschaffenen umwandlung der dinge wurde, obgleich er wohl in spätern jahren vom reinen standpunkt der universität Göttingen aus so etwas empfinden konnte, wie dass sie nun nicht mehr einzige das „landesjuwel“ schien, sondern ideell als eine unter acht schwestern dastand, – die übrigens bekanntlich in realistischer beziehung unter der preussischen regierung auf das fürsorglichste bedacht ist. Der grosse krieg von 1870 erweckte in Leutsch eine hochfluth patriotischen gefühles, in welchem er juli 1870 – in vernünftiger voraussicht des eclatanten sieges der gerechten und moralisch wie militärisch weit stärkeren sache – schon nicht nur Verdun und Toul, sondern auch Lyon und Marseille als zukünftige deutsche reichsstädte in anspruch nahm, von welchen träumen er aber sicherlich durch die nicht genug zu rühmende masshaltung der deutschen politik bald zurückgekommen sein wird.

Empfohlene Zitierweise:
Max Schneidewin: Ernst von Leutsch: Ein Nekrolog. Göttingen: Dieterich'sche Verlagshandlung, 1888, Seite 3. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Schneidewin_Leutsch_03.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)