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Max Schneidewin: Ernst von Leutsch: Ein Nekrolog

abgrund geschrieben hatte, erzählte denn auch wohl von der glücklichen wendung, die ihn doch wieder ohne correctur auf die bahn geführt hätte. Und doch liess er sich bekanntlich noch nicht an der vom Philologus ihm aufgebürdeten arbeit genügen, sondern gründete im jahre 1868 dazu den „Philolog. anzeiger“, der schon in seinem zweiten jahre von 18 auf 40 bogen im umfange stieg und mehrfach noch supplementhefte erhielt. Die idee des Philologus war im wesentlichen, selbständige wissenschaftliche arbeiten zu vereinigen, die des „Philol. anzeigers“ sämmtliche altphilologische leistungen in möglichster vollständigkeit der kenntnissnahme und gerechten kritischen würdigung zugänglich zu machen. Der „Philol. anzeiger“ löst diese aufgabe in grosser vollkommenheit und ist in seiner anlage bekanntlich ein vorbild für viele andere zeitschriften geworden. Solche trefflichkeit einer zeitschrift ist ohne die höchste rührigkeit im centrum der herausgabe nicht denkbar, und nie habe ich seit jahrzehnten Leutsch besucht, ohne zeuge von dieser rührigkeit zu werden. Er hat in überaus reicher brieflicher beziehung zu fachgenossen gestanden, von den koryphäen bis zu dem einfachen gymnasiallehrer, welcher sich in ein speciellstes arbeitsgebiet eingelebt hatte. Auch die philologenversammlungen besuchte er von nun ab bis nahe zu anfang der achtziger jahre regelmässiger, um dort zum besten seiner zeitschriften thätig zu sein. War er bisher nur theilnehmer an den versammlungen zu Gotha (1840), Cassel (1843) und natürlich Göttingen (1852) gewesen, so versäumte er in den sechziger jahren keine einzige, kam später noch nach Leipzig (1872), Rostock (1875), Wiesbaden (1877). Besonders ehrenvoll gestalteten sich für ihn die versammlungen zu Heidelberg (1865), wo er die verhandlungen der kritisch-exegetischen section leitete, zu Braunschweig (1860) und Würzburg (1868), wo frühere schüler ihm zu ehren ein festmahl im engeren kreise veranstalteten, und in Rostock (1875) wo er sich der ihm gestellten aufgabe die schlussansprache zu halten in einer weise, welcher der allgemeine beifall zu theil wurde, entledigte. Vielleicht noch mehr als durch seine vorlesungen und schriften hat sich Leutsch durch seine lange redactionelle thätigkeit einen dauernden namen in der philologischen wissenschaft gestiftet.

Als mensch ist ein ächter gelehrter eben wesentlich auch gelehrter, das gelehrtenthum durchdringt das ganze geäder seines lebens und hält, indem es den ganzen menschen, die ganze zeit im wesentlichen absorbirt, ganz von selbst schon fern von dem aufgehen in dem getriebe des praktischen lebens oder gar den genüssen. In der liebe zu seiner wissenschaft alle zeit in ihren dienst zu stellen, und damit die lebenslange ausdauer und treue in der arbeit für ein ideales ziel, das war also auch bei unserem Leutsch das wesentlichste seines menschenthumes. Aber auch in allen an sich weniger für ihn centralen menschlichen beziehungen war er

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Max Schneidewin: Ernst von Leutsch: Ein Nekrolog. Göttingen: Dieterich'sche Verlagshandlung, 1888, Seite 9. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Schneidewin_Leutsch_09.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)