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Das große Gebäude enthielt die Wohnung des Pächters, sowie die Ställe, Scheunen, Kornspeicher und die Bureaus der gräflichen Rentmeisterei. An der vierten offenen Seite des Quadrats führte eine zweite Brücke über den Graben nach einem kleineren, aber weit eleganteren Gebäude auf etwas erhöhtem Grunde, welches der Graf mit seiner Familie im Sommer bewohnte. Dieses hatte ebenfalls seinen Turm, sowie niedrigere, eine Kapelle und Wohn- und Wirtschaftsräume enthaltende Flügel und war auch auf allen Seiten von Wasser umgeben. Man nannte dies „das Haus“. Eine andere Zugbrücke verband „das Haus“ mit einem etwa 60 Morgen großen Garten, „der englische Garten“ genannt, welcher etwa zur Hälfte im Versailler Stil mit geraden Kieswegen und gelegentlichen Labyrinthen angelegt, mit hohen beschnittenen Hecken, griechischen Götter- und Nymphenbildern, Springbrunnen und Teichen verziert und von Pfauen und Perlhühnern bevölkert war. Eine große Orangerie, deren Bäume in Kübeln im Sommer reihenweise paradierten, bildete einen besonderen Schmuck. Die andere Hälfte bestand aus schattigen Baum- und Gebüschanlagen mit hier und da einem Sommerhäuschen oder Pavillon. Alles dies zusammengenommen hieß im Volksmunde „die Burg“, und mein Großvater war im Dorfe und weithin in der Umgegend als „der Burghalfen“ bekannt. („Halfen“ wurden ursprünglich diejenigen Pächter genannt, die mit ihren Gutsherren den Ertrag der Ernten zu gleichen Hälften teilten. Diese Einrichtung hatte jedoch in diesem, wie in den meisten Fällen am Rhein, der Zahlung eines Pachtzinses in Geld Platz gemacht. Aber der Name „Halfen“ blieb.)

Mein Großvater, der Burghalfen, hatte zur Zeit meiner ersten Erinnerung ungefähr sein sechzigstes Jahr erreicht. Er war ein Mann von gewaltigen Proportionen, über sechs Fuß groß, von mächtiger Breite in Brust und Schultern; die Züge des Gesichts massiv in Übereinstimmung mit der ganzen Statur; ein voll und entschieden geformter Mund über starkem, eckigem Kinn, die Nase groß und gerade, darüber buschige Brauen, ein dunkelglänzendes Augenpaar beschattend; die Stirn breit und der große Kopf bedeckt mit krausem, braunem Haar. Seine Muskelstärke war erstaunlich. Bei einer Kirmeß, als er mehrere andere Halfen zu Gast hatte, wurde eine Kraftprobe vorgeschlagen, und mein Großvater ging die Wette ein, daß er den großen Amboß, der jenseits des Burggrabens in der Schmiede stand, in seinen Armen über die Brücke, durch das Tor, ins Haus und alle Treppen hinauf bis zum höchsten Söller und wieder zurück in die Schmiede tragen werde; und ich sehe ihn noch einherschreitend mit dem gewichtigen Eisenblock in seinen mächtigen Armen, treppauf und treppab, als trüge er ein kleines Kind. Wunderbare Geschichten wurden von ihm erzählt, wie er einmal einen wütigen Stier, der aus dem Stall in den Burghof gebrochen war und alle Knechte ins Haus getrieben hatte, und dem er allein entgegentrat, mit einem Hammer auf einen Schlag zu Boden gefällt, und wie er bei verschiedenen Gelegenheiten schwer beladene Wagen, die in den tiefen Geleisen schlechter Landwege feststeckten, allein mit untergestemmten Schultern herausgehoben habe, und dergleichen mehr. Es ist nicht unmöglich, daß diese Geschichten von den Taten des Burghalfen,

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Carl Schurz: Lebenserinnerungen bis zum Jahre 1852. Berlin: Georg Reimer, 1911, Seite 003. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Schurz_Lebenserinnerungen_b1_s003.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)