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Heft seines Messers mit lautem Schlag auf den Tisch und das war das Zeichen zum sitzen. Ihre Suppe oder ihren Mehlbrei aßen die Leute mit hölzernen Löffeln aus großen hölzernen Schüsseln. Fleisch und Gemüse wurden vorgelegt auf langen, schmalen, weiß gescheuerten Brettern, die den Tisch entlang lagen. Teller gab es nicht. Eiserne Gabeln lieferte das Haus; zum schneiden gebrauchten die Leute ihre Taschenmesser. Der Meisterknecht schnitt das Schwarzbrot vor, welches dann in großen Stücken herumgereicht wurde. Weißes Brot gab es nur an Festtagen. Während der Mahlzeit wurde kein Wort gesprochen. Sobald der Meisterknecht Messer und Gabel niederlegte, war die Mahlzeit zu Ende. Es verstand sich von selbst, daß er den Leuten Zeit ließ, sich zu sättigen. Nach diesem Signal standen alle auf, wendeten sich wieder mit dem Rücken gegen den Tisch, sprachen noch ein Gebet und gingen dann auseinander, jedes an seine Arbeit.

Während das Volk seine Mahlzeit nahm, war meine Großmutter mit einer Küchenmagd am Herde beschäftigt, um für den Tisch der Familie zu sorgen. An der Seite des Herdes führte eine kleine Treppe von fünf oder sechs Stufen von der Volkshalle hinauf in ein kleineres, aber immerhin noch recht geräumiges Gemach, welches ebenfalls eine gewölbte Decke hatte. Ein langer Tisch stand in der Mitte, von Stühlen umgeben, deren mehrere mit Leder gepolstert und mit blanken kupfernen Nägeln geschmückt waren. Nach dem Hofe zu öffnete sich ein breites Fenster, mit starken Eisenstäben vergittert, die, nach außen gebogen, den Umblick über den ganzen Hof zuließen. Dies war das Wohngemach der Familie und diente auch als Eßzimmer mit Ausnahme der Festtage, wenn es viele Gäste gab. Dann wurde in einem größeren Saal an der anderen Seite der Volkshalle getafelt. Das Familienzimmer wurde gewöhnlich die „Stube“ genannt. Es war meiner Großmutter Hauptquartier. In die Wand nach der Volkshalle war ein kleines Fenster gebrochen, durch das die Hausfrau alles beobachten konnte, was dort vorging, und auch zuweilen ihre Stimme erschallen ließ, anordnend oder verweisend. Wenn der Abend kam, im Spätherbst oder Winter, so versammelte sie die Mägde in der Stube mit ihren Spinnrädern. Dann wurde der Flachs gesponnen, der den ganzen Haushalt mit Leinwand versah. Und während die Spinnräder schnurrten, durften die Mägde ihre Lieder singen, wozu meine Großmutter ermunternd den Ton angab. Unterdessen kamen aus ihren Ställen und von ihren Werkplätzen die Knechte und versammelten sich auf den Bänken am großen Herde, um Geschichten zu erzählen und das zu üben, was sie für Witz hielten. In den Sommerabenden saßen sie auf dem Hofe umher oder standen gelehnt an das Geländer der Brücke, ausruhend oder schwatzend oder singend. Nach altem Gebrauch hatte an zwei oder drei Abenden im Jahr das Volk, männlich und weiblich, Erlaubnis, in der großen Halle zusammen zu spielen – blinde Kuh und andere Spiele; und da gab es denn des Hüpfens und Springens und Übereinanderfallens und Schreiens und Lachens kein Ende, bis zur bestimmten Stunde der Meisterknecht wie das Schicksal dazwischentrat und alle zu Bett schickte.

In dieser Umgebung war es, daß ich meines Daseins bewußt

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Carl Schurz: Lebenserinnerungen bis zum Jahre 1852. Berlin: Georg Reimer, 1911, Seite 006. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Schurz_Lebenserinnerungen_b1_s006.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)