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die Campesche Bearbeitung jenes herrlichsten aller Jugendbücher, des Robinson Crusoe. Es kann wohl ohne Übertreibung gesagt werden, daß dem Robinson Crusoe die Jugend aller zivilisierten Völker mehr glückliche Stunden verdankt als irgend einem Buch, das jemals geschrieben worden ist. Dieses Glück genoß ich in vollen Zügen. Ich sehe das Buch noch vor mir, wie ich es mit Gier ergriff, sobald meine Schulstunden vorüber waren; ich sehe die abgenutzten Kanten des Einbandes; ich sehe die Holzschnitte, die in den Text gedruckt waren; ich sehe den Tintenfleck, der zu meinem großen Ärger eines dieser Bilder verunstaltete. Ich sehe mich selbst noch, wie ich in meiner Begeisterung dem Schullehrer von dem wunderbaren Buch erzählte und ihn bat, es den gesamten Schulkindern vorzulesen, was er auch tat an zwei Nachmittagen in jeder Woche; und da er merkwürdigerweise das Buch noch nicht gekannt hatte, so wuchs sein eigenes Interesse daran dergestalt, daß die Vorlesungsstunden immer länger wurden, bis der regelmäßige Unterricht fast darunter gelitten hätte. Nächst dem Robinson Crusoe begeisterten mich „der Landwehrmann“, eine volkstümliche Geschichte der „Befreiungskriege“ von 1813, 1814 und 1815, für die zuerst mein Interesse durch die Erzählungen meines Vaters und Großvaters geweckt worden war – eine Lektüre, aus der ich als kindlich feuriger deutscher Patriot hervorging. Ferner fand sich im Pfennigmagazin manches Unterhaltende und Wissenswerte, das mir mein Vater durch seine Erklärungen verständlich machte. Und endlich führte er mich auch in die höhere Literatur ein, indem er mir, als ich von den Masern genesend, noch das Zimmer hüten mußte, eine Reihe Schillerscher Gedichte und zuletzt gar die „Räuber“ vorlas.

Aber es gab noch andere anregende Familieneinflüsse außerhalb des engsten Kreises. Meine Mutter hatte vier Brüder. Der älteste, Ohm Peter, wie wir Kinder ihn nannten, hatte während der letzten Jahre der napoleonischen Herrschaft in einem französischen Grenadierregiment gedient und war reich an Erinnerungen aus jener merkwürdigen Zeit. Nach dem Kriege heiratete er eine „Halfens Tochter“ und wurde selbst „Halfen“ auf einem großen Bauerngut, dem „Münchhofe“ in Lind, eine halbe Stunde Wegs von Köln. Körperlich und geistig glich er von den Brüdern meinem Großvater am meisten, und wir Kinder liebten ihn herzlich. Der zweite war Ohm Ferdinand. Er stand den großen Torfgruben, die der Graf Metternich besaß, und welche die Umgegend mit Brennmaterial versahen, als Verwalter vor und lebte in Liblar in behaglichen Verhältnissen. Im preußischen Militärdienst hatte er es bis zum Landwehrleutnant gebracht, und wir Kinder staunten ihn an, wenn er in seiner bunten Uniform, den Degen an der Seite und den Tschako mit hohem Federbusch auf dem Kopf – Pickelhauben gab es damals noch nicht –, zu den periodischen Musterungen und Manövern auszog. Er hatte manches gelesen und war der Aufgeklärte, der Voltairianer der Familie. Auch gehörte er einer Freimaurerloge in Köln an, und die Dorfleute erzählen sich mit Grauen, wie in den geheimen nächtlichen Versammlungen der Freimaurer der leibhaftige Teufel in Gestalt eines schwarzen Ziegenbocks erscheine und die Mitglieder der Loge sich ihm mit Leib und Seele verschreiben

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Carl Schurz: Lebenserinnerungen bis zum Jahre 1852. Berlin: Georg Reimer, 1911, Seite 015. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Schurz_Lebenserinnerungen_b1_s015.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)