Seite:Schurz Lebenserinnerungen b1 s041.jpg

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Eine andere tragische Szene, der ich beiwohnte, wirkte auf ähnliche Weise. Ein junger Mensch in Köln, namens Broichhausen, hatte seine Geliebte erstochen, ich weiß nicht mehr, ob aus Eifersucht oder nur, weil er ihre Gunst verloren. Er wurde zum Tode verurteilt, und da das linke Rheinufer von der französischen Zeit her noch unter dem Code Napoleon stand, so sollte das Todesurteil durch das französische Hinrichtungsinstrument, die Guillotine, vollzogen werden, und zwar früh morgens bei Sonnenaufgang auf einem zwischen dem Dom und dem Rhein gelegenen öffentlichen Platz der Stadt, vor den Augen all derer, die sich dort versammeln mochten. Der Prozeß hatte schon die ganze Bevölkerung in große Aufregung versetzt, und nun sah man der blutigen Katastrophe mit gesteigerter Spannung entgegen. Mein Schlossermeister war der entschiedenen Meinung, daß er und ich uns das seltene Schauspiel nicht dürften entgehen lassen. Lange vor Sonnenaufgang an dem verkündeten Tage weckte er mich und nahm mich mit sich zur Richtstätte. Dort fanden wir schon im grauen Morgenlichte eine dichtgedrängte Menschenmasse, die zu Tausenden zählte. Männer und Frauen, Mädchen und Knaben. Über ihre Köpfe hinaus ragte das schwarze Gebälk des Blutgerüstes. Es herrschte tiefe Stille. Nur ein leises Summen schwebte über der Menge, das, als der Verurteilte beim Schafotte ankam, ein wenig anschwoll, um dann für eine Weile ganz zu verstummen. Der stämmige Schlossermeister hob mich, da ich noch klein war, auf seinen Armen empor, damit ich über die vor uns Stehenden hinweg alles sehen sollte. So sah ich denn den Unglücklichen auf das Gerüst des Schafottes treten. Sofort schnallten ihm die Gehilfen des Scharfrichters ein Brett vor den Körper, das von den Füßen bis zu den Schultern reichte, den Hals freilassend. Er blickte hinauf zu dem Fallbeil, das vor ihm zwischen zwei durch einen Querbalken verbundenen Pfosten hing. Rasch wurde er vornüber gestürzt und vorgeschoben, so daß sein Hals zwischen den beiden Pfosten lag. Im nächsten Augenblick schoß wie ein Blitz das Beil herab, den Kopf von den Schultern trennend. Ein Blutstrom stürzte aus dem durchschnittenen Halse, aber dieser grauenhafte Anblick wurde schleunigst durch ein übergeworfenes Tuch den Augen der Zuschauer verborgen. Die ganze Handlung vollzog sich mit der Schnelligkeit des Gedankens. Man kam kaum zum Bewußtsein des Gräßlichen, das geschah, als es schon vorüber war. Ein dumpfes Murmeln erhob sich von der Menschenmenge, die sich dann schweigend zerstreute. Das Schafott war schon wieder abgebrochen und die Lache von Menschenblut auf der Erde mit Sand bedeckt, als der Morgensonnenschein von der Höhe des Doms heiter auf den Richtplatz hinunterstieg. Ich erinnere mich, daß ich ein inneres Beben und Schaudern mit mir nach Hause trug, und daß ich mein Frühstück nicht genießen konnte. Um keine Preis hätte ich seither wieder eine Hinrichtung sehen mögen.

Aber mein braver Schlossermeister führte mich nicht bloß zu Szenen des Grauens. Er war ein eifriger Theaterfreund, und zuweilen nahm er mich mit sich – freilich auf die oberste Galerie, wo ein Platz nur fünf Silbergroschen kostete. Das Kölner Theater nahm, wie ich später erfuhr, in der damaligen Bühnenwelt einen anständigen Rang ein. Mir

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Carl Schurz: Lebenserinnerungen bis zum Jahre 1852. Berlin: Georg Reimer, 1911, Seite 041. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Schurz_Lebenserinnerungen_b1_s041.jpg&oldid=- (Version vom 27.8.2021)