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späteres Alter zu verbittern – oder vielleicht auch zu belustigen. Leicht schämt man sich ja des gar zu Unvollkommenen, das man hervorgebracht, oder der Selbstüberhebung, die dazu gehörte, um es zu unternehmen. Aber ich kann doch nicht ohne eine gewisse Rührung an jene Zeit zurückdenken, als ich mit so tiefem Ernst mich dem dichterischen Triebe hingab, und mit der Hoffnung – sicherlich mit dem Wunsche –, im Laufe der Zeit einmal dem Vaterlande wertvolle Schöpfungen zu schenken und in die Reihe seiner namhaften Schriftsteller zu treten.

Es versteht sich von selbst, daß meine literarischen Bestrebungen einen nicht geringen Teil der Zeit in Anspruch nahmen, die sonst andern Studien würde gehört haben. In den ersten Jahren meines Gymnasialkursus hatte ich bei der halbjährigen Zeugnisaustellung jedesmal in allen Fächern ohne Ausnahme die höchsten Zensuren gewonnen. Dann opferte ich diese stetige Gleichmäßigkeit meiner literarischen Neigung insofern, als ich in einigen Unterrichtsgegenständen, namentlich der Mathematik und der Naturwissenschaft, eben nur das tat, was streng gefordert wurde. Doch behauptete ich immerhin meine Stellung als einer der besseren Schüler der Klassen, in denen ich mich nacheinander befand.

Um so einfacher und bescheidener war mein Leben außerhalb der Schule. Die Vermögensverhältnisse meiner Eltern gaben mir die wertvollste Gelegenheit, die Tugend der Genügsamkeit zu üben. Ein regelmäßiges Taschengeld hatte ich eigentlich gar nicht. Ich erinnere mich auch nicht, meine Eltern jemals um ein solches gebeten zu haben. Sie dachten wohl selbst daran und steckten mir eine Kleinigkeit zu, wenn ich aus den Ferien nach Köln zurückging, oder wenn sie mich dort besuchten. Zuweilen kam ich wochenlang mit der Summe von fünf Silbergroschen aus. Der Besitz von zehn Groschen oder gar eines Talers gab mir das Gefühl von Reichtum. Auch wenn ich nichts besaß, was zuweilen der Fall war, kam ich mir dennoch nie arm vor. Die Denkweise, in die ich mich damals ohne viel Reflexion hineinlebte, ist mir in meinen späteren Schicksalen sehr viel wert gewesen. Die Freunde, mit denen ich umging, schienen in diesen Dingen viel besser gestellt zu sein als ich. Sie konnten sich manchen Genuß erlauben, den ich mir versagen mußte. Ich gewöhnte mich daran, das zu tun, ohne mich selbst darum geringer oder vom Schicksal schlecht behandelt zu dünken, und besonders ohne die geringste Regung von Neid in mir aufkommen zu lassen. Diese früh gepflegte Gewohnheit hat mich im späteren Leben vor mancher Störung meiner Gemütsheiterkeit bewahrt, denn es ist mein Los gewesen, fast immer in engen Beziehungen mit Menschen zu verkehren, die von dem, was man die Glücksgüter der Welt nennt – Reichtum, Macht, gesellschaftliche Stellung, – mehr besaßen als ich. Der Neid ist wohl von allen Leidenschaften diejenige, die den Menschen in sich am unglücklichsten macht. Unter Neid verstehe ich natürlich nicht etwa den bloßen Wunsch, begehrenswerte Dinge, die wir im Besitz von andern sehen, ebenfalls zu besitzen – denn solche Wünsche hegt wohl zuweilen die bestgeartete Menschennatur; sie sind oft dem edelsten Ehrgeiz nicht fremd. Ich verstehe vielmehr unter

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Carl Schurz: Lebenserinnerungen bis zum Jahre 1852. Berlin: Georg Reimer, 1911, Seite 050. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Schurz_Lebenserinnerungen_b1_s050.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)