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pflegt. Zuweilen ging ich auch nach Lind hinaus, eine halbe Wegstunde von Köln, wo mein Ohm Peter den „Münchhof“ bewohnte. Seine Söhne, meine Vettern Heribert und Otto, der eine ein Jahr älter, der andere ein Jahr jünger als ich, waren meine guten und lieben Kameraden. Da sie sich nicht für eine Gelehrtenlaufbahn vorbereiteten, sondern Landwirte werden sollten, so hatte ich weniger geistige Interessen mit ihnen gemein als mit meinen andern Freunden; aber sie waren Knaben von gewecktem Geist, vortrefflicher Gemütsart und ritterlichem Wesen, und wir vergnügten uns zusammen in der heitersten Weise. Wenn das Wetter das Umhertummeln in der freien Luft nicht zuließ, so unterhielten wir uns wohl im Hause mit Kartenspielen. Hier muß ich nun, um der Wahrheit treu zu bleiben, einen Vorfall erwähnen, der zeigt, daß meine Jugend keineswegs von bedenklichen Flecken frei war.

Anfangs spielten wir nur des Zeitvertreibes wegen. Wie wir aber Geschmack an der Sache gewannen, so machten wir bald kleine Einsätze, allerdings nur sehr geringe, da ich äußerst wenig Geld besaß, und meine Vettern freilich etwas mehr, aber auch nicht viel. Doch regte uns das abwechselnde Gewinnen und Verlieren so an, daß die Lust am Spiel schließlich mit uns durchging und zu einer Katastrophe führte. Meine Vettern besuchten eine Zeitlang die Bürgerschule in Köln und blieben die Woche über des Nachts in der Stadt in einem unsern Begriffen nach sehr hübschen Quartier. Dort versammelten wir uns dann und wann an freien Nachmittagen zu einem Kartenspiel. So ereignete es sich, daß, als ich einmal das in den nächsten Tagen zu bezahlende Schulgeld in der Tasche hatte und in fortwährendes Verlieren kam, ich mich von der Aufregung des Augenblicks hinreißen ließ, das mir von meinen Eltern für die Schule anvertraute Geld anzugreifen. Natürlich hoffte ich, das Verlorene zurückzugewinnen; ich spielte fieberhaft weiter; aber das Glück wandte sich nicht, und ich verlor das ganze Schulgeld im Spiel. Freilich betrug die Summe nur ein paar Taler, und meine Vettern halfen mir sofort aus der Not. Aber mein Schreck über das Geschehene war so groß, mein Schuldbewußtsein so peinigend, und, als ich meinen Eltern das Geständnis machte, meine Beschämung so tief – denn ich kam mir, nicht mit Unrecht, wie ein Verbrecher vor –, daß mir die inneren Leiden jener Tage zeitlebens als eine furchtbare Lehre gegenwärtig geblieben sind. Ich hatte an mir selbst eine ernste Erfahrung gemacht. Bei unserm Spiel war es mir nicht um das Gewinnen von Geld zu tun gewesen. In der Tat, es gab vielleicht wenig Menschen, die des Geldes weniger bedurften und die dessen Besitz weniger schätzen. Und doch hatte mich der böse Zauber, der dem Versuchen des Glückes eigen ist, zu einer Handlung verführt, die unter ungünstigen Verhältnissen und in größerem Maßstabe begangen, meinen Charakter hätte unheilbar schädigen können. Das Spiel wird zu den sogenannten noblen Passionen gerechnet; aber ich glaube, es gibt kein Vergnügen, das, einmal zur Passion geworden, dem Charakter gefährlicher ist. Es war vielleicht ein Glück für mich, daß diese Lehre in meinem Leben so früh kam und sich bei mir so schmerzhaft und tief eingrub.

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Carl Schurz: Lebenserinnerungen bis zum Jahre 1852. Berlin: Georg Reimer, 1911, Seite 053. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Schurz_Lebenserinnerungen_b1_s053.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)