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die Kinder jubelten, und die alten Leute standen vor ihren Türen, grüßten mit den Händen und riefen meinen Namen. Aber ich fühlte doch, als ob wir beiden, die alte Waschfrau und ich, in diesem Triumphzuge, der mir in meiner Phantasie immer so feierlich erschienen war, ein recht groteskes Bild darstellten. Ich glaubte sogar, einige Leute über diesen Aufzug spöttisch lachen zu sehen. Aber, schlimmer noch als dies, ich bemerkte auf den Gesichtern einiger der älteren Schützen etwas wie einen Ausdruck des Unwillens. Mein Ohr fing sogar eine Bemerkung auf, es sei doch eigentlich nicht passend, daß das Schützenfest der altehrwürdigen Sankt Sebastianus-Brüderschaft zu einem Knabenspiel werde. Ich konnte mir innerlich nicht leugnen, daß diese Ansicht etwas Berechtigtes habe. So fiel denn in der Stunde des Triumphes, von dem ich vorher soviel geträumt hatte, in den Kelch des Erfolges und der Freude ein schwerer Tropfen Wermut hinein. Es war die alte Erfahrung, mir damals noch neu, daß es selten eine Freude ohne bittere Beimischung gibt, und daß die Erfüllung eines Wunsches gewöhnlich anders aussieht, als man sie sich vorher gedacht. Diese Erfahrung war mir bestimmt in meinem Leben noch recht oft zu machen.

Unterdessen waren über die Familie dunkle Wolken heraufgezogen. Der Abzug meines Großvaters von der Burg hatte allerlei Folgen gehabt, die sich nach und nach als unheildrohend entwickelten. Es war als sei der Familie der feste Boden unter den Füßen weggeglitten und alles ins Schwanken geraten. Der Ertrag der Verkäufe des Inventars wurde, wenn ich mich recht erinnere, meinem Onkel Georg, dem jüngsten Sohn meines Großvaters, der die Ackerwirtschaft auf der Burg hätte führen sollen, zu geschäftlicher Verwendung überlassen. Dieser tastete eine Zeitlang ohne festen Plan umher und kam endlich auf den Gedanken, in Getreide zu handeln. In Verbindung damit entschloß sich mein Vater, der auch das dringende Bedürfnis einer Erweiterung seiner Erwerbsquellen fühlte, neben unserm Hause ein Gebäude zu errichten, das zu ebener Erde einen großen Saal und darüber geräumige Getreidespeicher enthalten sollte. Mein Vater hatte in einem der vielen Bücher, die er gelesen, die Beschreibung einer neuen Bauart mit gepreßten Erdquadern gefunden, die ihm außerordentlich einleuchtete und besonders sehr wohlfeil vorkam. Sie hatte für ihn den großen Reiz des Neuen. So ging er denn ans Werk, und der Bau wurde erfolgreich ausgeführt, nur kostete das Experiment viel mehr, als mein Vater im voraus berechnet hatte. Auch stellte es sich bald heraus, daß der festlichen Gelegenheiten für den Gebrauch des Saales zu wenige waren, um das darauf verwendete Kapital zu einer gut zahlenden Geldanlage zu machen. Mit dem Getreidespeicher ging es in der Folge noch schlimmer. Der Getreidehandel meines Onkels Georg nahm bald den Charakter der Spekulation an, und man versprach sich goldene Berge davon. Wenn der Führer des Geschäfts ins Gedränge kam, so sprangen ihm die Brüder und Schwäger natürlich bei, und bald fanden sich alle in Unternehmungen verwickelt, für die keiner von ihnen besonderes Geschick besaß. Wie ich sie vorher schon beschrieben habe, keiner von ihnen war ein scharfer Rechner und Händler. Es ging gegen das Kavalierartige in ihrer natürlichen Anlage. Mein Oheim Jakob, der Bürgermeister von

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Carl Schurz: Lebenserinnerungen bis zum Jahre 1852. Berlin: Georg Reimer, 1911, Seite 056. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Schurz_Lebenserinnerungen_b1_s056.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)