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Viertes Kapitel.

Der Student.

Obgleich ich noch nicht regelrechter Student war, so wurde mir doch von einem Kreise vortrefflicher junger Leute, der Burschenschaft Frankonia, eine wohltuend warme Begrüßung. Dies verdankte ich meinen Kölner Freunden Theodor Petrasch und Ludwig von Weise, die vor mir die Universität bezogen, sich dieser Burschenschaft angeschlossen und ihren Verbindungsgenossen allerlei übertriebene Dinge von mir erzählt hatten. Nun war ich zu jener Zeit ein über die Maßen schüchterner Jüngling, so schüchtern in der Tat, daß ich mich nur bei meiner Familie und meinen intimen Freunden mit Behagen gehen ließ, während die Begegnung mit fremden Menschen mich gewöhnlich stumm machte, wenn nicht gar außer Fassung setzte. Meine Verlegenheit wurde um so schlimmer, da ich sogleich merkte, daß meine Kölner Freunde in der Frankonia, die zum großen Teil aus sehr tüchtigen jungen Leuten aus Norddeutschland bestand, mit mir besondere Parade machen wollten. Als ich nun über und über errötete und kaum ein Wort hervorzubringen wußte, wenn die Studenten mich anredeten, so war die Enttäuschung so groß, daß mein guter Petrasch mir dieselbe kaum verhehlen konnte. Ich werde nie das Gefühl der Hilflosigkeit vergessen, das mich überkam, als er mich dem damaligen Sprecher der Frankonia, Johannes Overbeck, vorstellte. Overbeck, ein geborener Hamburger, war ein hübscher junger Mann, mehrere Jahre älter als ich, von selbstbewußtem Wesen. Er studierte Archäologie und hatte schon ein Bändchen Gedichte drucken lassen. Alles dies imponierte mir gewaltig, und ich vermochte in der Unterhaltung mit ihm kaum über das notdürftigste Ja oder Nein hinauszukommen. Ich erschien mir selbst wie ein linkischer Landjunge, der sich in gebildeter Gesellschaft nicht zu benehmen weiß, und schämte mich gründlich. Es war eben das erstemal in meinem Leben, daß ich mit Leuten aus anderen Teilen Deutschlands zusammentraf und diese, besonders die Norddeutschen, hatten etwas Vornehm-Überlegenes in ihrem Wesen, dem ich mich nicht gewachsen fühlte. Im späteren Leben ist es mir noch oft beschieden gewesen, ähnliche Gemütszustände durchzumachen.

Meine unregelmäßige Stellung in der Studentenschaft erlaubte mir nicht, als vollberechtigtes Mitglied in die Frankonia einzutreten, aber ich wurde als ein sogenannter „Mitbummler“ der Verbindung angenommen und durfte an ihren gesellschaftlichen Versammlungen auf der „Kneipe“ teilnehmen, fast wie einer, der dazu gehörte. Da die Frankonia sich vor andern studentischen Vereinen durch einen feineren Ton auszeichnete und das massenhafte Biertrinken nicht zur Pflicht machte, so wurde meine Mäßigkeit mir nicht unbequem. Ich saß nun unter den muntern, gesprächigen und zum Teil recht geistvollen Gesellen lange als ein stiller, fast stummer Beobachter. Endlich kam auch meine Stunde.

Die „Kneipabende“ fanden häufig ihren Glanzpunkt in dem Vorlesen der sogenannten „Kneipzeitung“. Irgend ein Mitglied schrieb einen Aufsatz oder ein Gedicht, gewöhnlich satirischen oder sonstwie heitern Inhalts, und trug das Produkt der versammelten Gesellschaft vor.

Empfohlene Zitierweise:
Carl Schurz: Lebenserinnerungen bis zum Jahre 1852. Berlin: Georg Reimer, 1911, Seite 061. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Schurz_Lebenserinnerungen_b1_s061.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)