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groben Selbsttäuschung, welche der Jugend nur gefährlich werden kann, indem sie gerade die sittlichen Anschauungen verwirrt, deren Klarheit die wesentlichste Grundbedingung für den Charakter des wahren Gentleman ausmacht. Eine solche Anregung des Ehrgefühls, die nur in einer sehr wohlfeilen Äußerlichkeit besteht, läßt zu leicht vergessen, daß der sittliche Mut des Mannes, der für das, was er als wahr und recht erkennt, unerschrocken, unbeugsam und uneigennützig in den Kampf der Meinungen und Interessen eintritt, hoch erhaben steht über allen Glorien der Mensur und allen Heldentaten des Klopffechters. Und man hat nur zu oft die Erfahrung gemacht, daß die kampflustigsten Studenten gerade dieses echten und höheren Mutes bar, im spätern Leben die servilsten Augendiener wurden, dabei aber immer noch mit den Schmarren im Gesicht als Zeichen ihrer Tapferkeit paradierten. Es hat sich auf natürlichste Weise in dieser Klasse jenes grundsatzlose „Strebertum“ ausgebildet, das in dem Wettbewerb um Stellung und Beförderung sich nicht auf das eigene Wissen und Können, sondern auf gesellschaftliche Verbindung und die Protektion der Mächtigen verläßt und so, was es an Erfolg gewinnt, an Charakter verlieren muß.

Dies war die Ansicht über das Duell, die zu meiner Zeit in der Burschenschaft Frankonia vorherrschte, und es ist gewiß, daß es uns dabei nicht an Ehr- und Selbstgefühl fehlte. Solche Grundsätze verhinderten uns jedoch keineswegs, die Leibesübung zu pflegen, die der Fechtboden bietet, und nicht wenige von uns wären fähig gewesen, sich auch auf der Mensur Respekt zu verschaffen. Ich muß sogar gestehen, daß mir die Fechtschule besonderes Vergnügen machte, und Spielhagen rühmt mir in seinen Memoiren nach, daß ich „eine ebenso gewandte wie wuchtige Klinge führte“. Die Versuchung, mit der erlernten Kunst gelegentlich im Zweikampf einen Unverschämten abzustrafen, lag nahe, aber ich freue mich, dieser Versuchung gewissenhaft widerstanden zu haben. Übrigens trat mir diese Versuchung auch nur einmal recht unmittelbar in den Weg. Eines Abends rannte mich auf dem Markt ein angetrunkener Korpsbursch an, offenbar mit der Absicht, mich zu einer Forderung zu provozieren. Einen Augenblick hatte ich mich zu überwinden, gewann aber dann Besonnenheit genug, ihm ruhig ins Gesicht zu sehen und zu sagen: „Ach, lassen wir doch diese Kinderei!“ Das schien ihn zu verblüffen, denn ohne ein weiteres Wort trollte er sich von dannen.

Sonst übten wir nach Herzenslust die Gebräuche und genossen die Vergnügungen, die dem deutschen Studentenleben eigentümlich sind. Wir trugen mit Stolz unsere Verbindungsfarben auf unseren Mützen und Bändern. Wir „kneipten“ mit Maß und sangen. Wir hatten unsere Kommerse und gingen durch die üblichen Zeremonien mit gebührlicher Feierlichkeit. Wir schoben Kegel und machten unsere Ausflüge nach den umliegenden Dörfen, und es war keine gelehrte Ziererei, sondern eine wirkliche Belustigung, wenn bei solchen Gelegenheiten einige von uns, die ihren Homer besonders fleißig studiert hatten, sich auf Griechisch in homerischen Versen unterhielten, die sie in launiger Weise auf das anwendeten, was man eben tat oder beobachtete. Auch „Spritztouren“ weiter den Rhein hinauf und in die reizenden Nebentäler

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Carl Schurz: Lebenserinnerungen bis zum Jahre 1852. Berlin: Georg Reimer, 1911, Seite 066. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Schurz_Lebenserinnerungen_b1_s066.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)