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ihnen vorgeschriebenen Aufgaben beschränken würden, petitionierten heftig um erweiterte Vertretung des Bürger- und Bauernstandes und um Preßfreiheit. Die 1842 eingerichteten „ständischen Ausschüsse“, welche die Stelle einer einheitlichen Volksvertretung einnehmen, aber nur sehr beschränkte Befugnisse haben sollten, machten die Nichterfüllung des alten Versprechens einer wirklichen Repräsentationsverfassung nur um so fühlbarer und dem Volksgeiste klarer. Das Experiment des Scheinbar-Gebens und Alles-Behaltens konnte nur kläglich mißlingen. Die Petitionen der Provinziallandtage um Preßfreiheit, Schwurgericht und Landesverfassung wurden immer dringlicher. Es half nichts, daß die königliche Regierung diese Petitionen ärgerlich zurückwies, daß sie die Zensur noch mehr verschärfte, daß sie, um die schon erwähnten liberalen religiösen Bewegungen zu dämpfen, die Schulen unter die strengste Kontrolle stellte und frommgläubige Lehrer und entsprechende Lehrbücher an die Stelle von freisinnigeren setzte; daß sie die Lehrfreiheit der Universitäten verkümmerte und selbst die Richter durch Disziplinargesetze zu unterjochen suchte. Die Unzufriedenheit wurde allmählich so allgemein, der Sturm der Petitionen so heftig, das Widerstreben des Volkes gegen den Polizeidespotismus, wie er sich in einzelnen Konflikten, in Köln und Königsberg, betätigte, so drohend, daß die alte Parade der absoluten Königsgewalt nicht mehr ausreichen wollte und ein neuer Schritt auf dem Wege liberaler Neuerung durchaus notwendig schien.

So entschloß sich denn König Friedrich Wilhelm IV. den „Vereinigten Landtag“, eine aus den Mitgliedern der sämtlichen Provinziallandtage bestehende Versammlung, auf den 11. April 1847 nach Berlin zu berufen. Aber es war wieder das alte Spiel. Diese Versammlung sollte ein Parlament vorstellen und doch keines sein. Ihre Berufung sollte für immer ganz von dem Belieben des Königs abhängen. Ihre Befugnisse wurden auf das ängstlichste beschränkt. Sie sollte keine Gesetze machen und keinerlei bindende Beschlüsse fassen können. Sie sollte dem König nur als „Beirat“ bei seinen Entschließungen dienen und ihre Wünsche ihm gegenüber nur im Wege der Petition ausdrücken. In der Rede, mit welcher der König den „Vereinigten Landtag“ eröffnete, erklärte er nachdrücklich, dies sei nun das Äußerste, zu dem er sich verstehen werde; er könne nie und nimmer das Eindrängen eines „beschriebenen Blatts Papier“, einer geschriebenen Konstitution, zwischen Fürst und Volk zugeben; daß Volk selbst wolle nicht das Mitregieren von Repräsentanten; die Vollgewalt der Könige dürfe nicht gebrochen werden; „die Krone solle nach den Gesetzen Gottes und des Landes und nach eigener freier Bestimmung herrschen; sie könne und dürfe nicht nach dem Willen von Majoritäten regieren“; und er, der König, würde die Versammlung nie berufen haben, hätte er nur den geringsten Zweifel gehegt, daß ihre Mitglieder „ein Gelüst hätten nach der Rolle sogenannter Volksrepräsentanten“. Dies sollte nun ausgesprochenerweise die Erfüllung, „und mehr als die Erfüllung“ der in der Zeit der Not gegebenen Versprechungen darstellen.

Allgemeine Enttäuschung und erhöhte Unzufriedenheit folgten dieser Verkündigung. Aber die von dem Könige gemachte Konzession bedeutete

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Carl Schurz: Lebenserinnerungen bis zum Jahre 1852. Berlin: Georg Reimer, 1911, Seite 073. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Schurz_Lebenserinnerungen_b1_s073.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)