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allmächtigen Autorität, ihre Beschwerden und Bitten vorzulegen. Als das Ministerium Pillersdorf-Latour ein neues Preßgesetz erließ, das zwar die Zensur aufhob, aber doch noch mancherlei Beschränkungen enthielt, forderte Pillersdorf die Studenten ausdrücklich auf, über das Gesetz ihr Urteil auszusprechen; und es waren die Studenten, die am 15. Mai 1848 an der Spitze des bewaffneten Volkes durch ihre entschlossene Haltung der Militärgewalt gegenüber die Regierung zwangen, eine oktroyierte Verfassung zurückzunehmen und die Berufung einer konstituierenden Versammlung zu verheißen. Verschiedenen Versuchen der Regierung gegenüber, die akademische Legion aufzulösen, behaupteten die Studenten sich siegreich. Ja, sie zwangen endlich das Ministerium, in die Entfernung des Militärs aus der Hauptstadt und in die Bildung eines „Sicherheitsausschusses“ zu willigen, der vornehmlich aus Mitgliedern der Studentenschaft bestand, und dem eine unabhängige und so umfassende Machtvollkommenheit übertragen wurde, daß er in wichtigen Dingen als fast gleichberechtigt neben dem Ministerium stand; – so durfte z. B. ohne seine Zustimmung keine Militärmacht zur Verwendung kommen. Man hätte ohne große Übertreibung sagen können, daß eine Zeitland die Wiener Studenten Österreich regierten.

Es war daher nicht zu verwundern, daß wir die Wiener Legionäre, die in so kurzer Zeit so viel Geschichte gemacht, als die Helden des Tages anstaunten und mit begieriger Aufmerksamkeit ihren Erzählungen lauschten von ihren eigenen Taten und von dem Stande der Dinge in Österreich. Leider ließen diese Erzählungen weitere schwere Kämpfe, wenn nicht gar ein tragisches Ende voraussehen, und unsere Wiener Freunde waren sich dessen wohl bewußt. Sie machten sich keine Illusion darüber, daß die Siege Radetzkis in Italien über die Heere des Piemonteser Königs Karl Albert dem Heere neues Prestige und der reaktionären Hofpartei neue Macht gaben; daß diese Partei planmäßig die Czechen gegen die Deutschen hetzte und gebrauchte; daß durch die Gegenwart der von den Studenten selbst verlangten konstituierenden Versammlung in der Hauptstadt die revolutionären Autoritäten an Ansehen schwer gelitten hatten; daß in der Bürgergarde und dem Sicherheitsausschuß selbst unheilvolle Zwistigkeiten ausgebrochen waren; daß die Hofpartei von all diesen Dingen Vorteil ziehe und die erste günstige Gelegenheit ergreifen werde, mit allen Früchten der Revolution im allgemeinen und mit der Studentenschaft insbesondere aufzuräumen, und daß es bald zu einem blutigen Entscheidungskampfe kommen müsse.

Diese Vorahnungen legten sich zuweilen wie finstere Schatten auf unsere sonst so heitere Geselligkeit, und es bedurfte der ganzen Elastizität des Jugendmuts, um sie mit der Hoffnung hinweg zu schmeicheln, daß schließlich doch wohl noch alles gut ausschlagen werde. Plötzlich, während wir andern noch allerlei Ausflüge um Eisenach her und andere Festlichkeiten planten, erklärten unsere Wiener Freunde, daß von der „Aula“ brieflich empfangene Nachrichten über die drohende Lage der Dinge sie nötigten, sofort nach Wien zurück zu kehren, und sie schieden von uns mit dem eigentlichen „morituri salutamus“. – „In wenigen Tagen werden wir in Wien eine Schlacht zu schlagen haben“, sagte einer, „und dann könnt ihr auf den Totenlisten nach unseren Namen

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Carl Schurz: Lebenserinnerungen bis zum Jahre 1852. Berlin: Georg Reimer, 1911, Seite 098. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Schurz_Lebenserinnerungen_b1_s098.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)