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blieb, so war wohl nichts Schlimmes zu befürchten; und mit dieser Beruhigung ging ich zu Bett, nicht wissend, was unterdessen geschah. Am nächsten Morgen hörte ich folgendes: Ein großer Teil der Menge, die an unserm Wartburgfest teilgenommen, hatte, nachdem der Zug Eisenach erreicht, sich nach einem großen Vergnügungslokal „Die Erholung“ genannt, begeben; dort war das Redehalten fortgesetzt worden; die Zahl der Soldaten unter den Zuhörern hatte sich bedeutend vermehrt; diese hatten dann so ziemlich einstimmig und in immer tumultuarischerer Weise die Republik hochleben lassen und schließlich einigen herbeigekommenen Offizieren, die ihnen sich zu entfernen befahlen, förmlich den Gehorsam verweigert. Während der Nacht hatte sich die Aufregung unter den Soldaten noch verbreitet und gesteigert, bis sich tatsächlich die militärische Besatzung von Eisenach im Zustande der Meuterei befand. Die Offiziere hatten, wie es schien, alle Kontrolle verloren. Am nächsten Morgen kamen Trupps von Soldaten zu uns mit dem Verlangen, daß die Studenten sich an ihre Spitze stellen sollten. So war die Sache nun von den Aufwieglern von gestern nicht gemeint gewesen, und diese mußten sich nun alle Mühe geben, weitern Unfug zu verhüten. Von Weimar, wohin die Behörden das Geschehene berichtet hatten, kam telegraphischer Befehl, daß die in Eisenach stehenden Kompagnien sofort per Eisenbahn dorthin befördert werden sollten. Aber die Soldaten weigerten sich standhaft, zu gehen; sie wollten bei den Studenten bleiben. Nun wurde die Bürgerwehr von Eisenach aufgeboten, um die Soldaten zum Abmarsch zu zwingen. Aber als die Bürgerwehr in Reih und Glied auf dem Markt aufgestellt war, zeigte sie nicht die geringste Lust, einen solchen Auftrag zu übernehmen. Auch sie amüsierte sich damit, den Studenten Hochrufe zu bringen. Die Verlegenheit wurde immer größer. Endlich gelang es uns, die Offiziere der meuterischen Truppen zu überreden, das ganze sei nur ein lustiger und leichtsinniger Studentenstreich gewesen, und man müßte es den Soldaten nicht anrechnen, daß sie in der allgemeinen Heiterkeit des Augenblicks und gar im Rausch mit den Studenten fraternisiert hätten. Die Offiziere ließen sich denn auch herbei, scheinbar wenigstens, die Sache von der scherzhaften Seite anzusehn, und wir versprachen ihnen, die Soldaten zum pflichtschuldigen Gehorsam zurück zu bringen, wenn sie uns von ihrer Regierung das Versprechen verschaffen wollten, daß den von den Studenten zu einem tollen Streich verführten Leuten nichts Schlimmes geschehen werde. Dies Versprechen kam sofort, und nun ließen sich die Soldaten auch bald von uns überreden, sich ruhig wieder unter die Fahne zu stellen. Glücklicherweise war es damals in deutschen Kleinstaaten noch möglich, derartige Dinge auf so gemütliche Weise beizulegen. In Preußen würde ein solcher Vorfall zu sehr ernsten Folgen geführt haben.

Nach dieser Leistung fühlten wir, daß es nun wirklich Zeit sei, Eisenach zu verlassen und nach Hause zu gehen. Auch waren unsere Mittel so ziemlich erschöpft. Am Abend vor unserer Abreise wurde noch eine große „Kneiperei“ im Ratskeller gehalten. Einer von uns, wenn ich mich recht erinnere, ein Königsberger, der sich durch das Tragen einer polnischen Mütze und durch extreme revolutionäre Äußerungen

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Carl Schurz: Lebenserinnerungen bis zum Jahre 1852. Berlin: Georg Reimer, 1911, Seite 100. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Schurz_Lebenserinnerungen_b1_s100.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)