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man, auch dieser passive Widerstand, mit dem Mittel der Steuerverweigerung durchgeführt, werde die Regierung durch Aushungern zum Nachgeben zwingen – vorausgesetzt, daß die Steuerverweigerung allgemein und mit hinreichend langatmiger Ausdauer ins Werk gesetzt werde. Eine Schwierigkeit, die sofort in die Augen fiel, bestand darin, daß die Durchführung dieses Planes eine große Übereinstimmung der Gesinnung im Volke und einen hohen Grad von Furchtlosigkeit bei den einzelnen Bürgern erforderte, und daß die bedeutendsten Steuerzahler wohl nicht mit der revolutionären Politik der Demokraten sympathisierten. Immerhin dachte man, durch den Druck der öffentlichen Meinung viel ausrichten zu können, und so wurden allenthalben Volksversammlungen gehalten und Beschlüsse gefaßt.

Die Demokraten in Bonn, unter denen wir Studenten eine hervorragende Rolle spielten, ließen es denn auch an solchen Demonstrationen nicht fehlen. Eine Steuerverweigerungserklärung seitens der Studenten sah einigermaßen wie ein Spaß aus, da diese ja keine Steuern zahlten. Das von uns zu lösende Problem bestand also darin, andere Leute vom Steuerzahlen abzuhalten, und diese Aufgabe faßten wir im weitesten Sinne auf. Es schien uns, wir könnten einen wirkungsvollen Schlag führen, indem wir vorerst die „Schlacht- und Mahlsteuer“, eine Steuer auf hereingebrachte Lebensmittel, die an den Stadttoren erhoben wurde, abschafften. Zu diesem Ende vertrieben wir die Steuerbeamten von den Toren. Dies gefiel den Bauern, die auch sogleich in großer Zahl bereit waren, ihre Produkte steuerfrei in die Stadt zu bringen. Daraus entstanden Konflikte mit der Polizei, in denen wir jedoch zu Anfang leicht Meister blieben.

Nun schien es uns nötig, uns der Maschinerie der Steuerverwaltung in größerer Ausdehnung zu bemächtigen, und am nächsten Tage begab sich ein Komitee, von welchem auch ich ein Mitglied war, auf das Rathaus, um von demselben Besitz zu ergreifen. Der Bürgermeister empfing uns recht höflich, hörte ruhig an, was wir ihm über die bindende Kraft der von der höchsten gesetzgebenden Autorität beschlossenen Steuerverweigerung auseinandersetzten, und suchte dann, uns mit allerlei ausweichenden Redensarten hinzuhalten. Endlich wurden wir ungeduldig und verlangten eine augenblickliche und bestimmte Antwort, nach der sich unsere weiteren Maßregeln richten würden. Plötzlich bemerkten wir eine Änderung in des Bürgermeisters Gesichtsausdruck. Er schien auf etwas zu horchen, das draußen vorging, und dann, immer noch höflich, aber mit einem triumphierenden Lächeln auf den Lippen, sagte er: „Meine Herren, die Antwort wird Ihnen wohl jemand anders geben. Hören Sie das?“ Nun horchten auch wir auf und hörten den noch entfernten aber sich rasch nähernden Schall einer Militärmusik, die im Marschtakt die preußische Nationalhymne spielte: „Ich bin ein Preuße, kennt ihr meine Farben!“ Immer näher klang die Musik eine vom Rhein führende Straße herauf. In wenigen Minuten erscholl sie auf dem Markt und hinter ihr der schwere Marschtritt einer Infanteriekolonne, die bald den ganzen Marktplatz zu füllen schien. Unsere Unterredung mit dem Bürgermeister war natürlich damit zu Ende, und wir fanden es seinerseits recht anständig, daß er uns überhaupt von sich ließ.

Empfohlene Zitierweise:
Carl Schurz: Lebenserinnerungen bis zum Jahre 1852. Berlin: Georg Reimer, 1911, Seite 104. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Schurz_Lebenserinnerungen_b1_s104.jpg&oldid=- (Version vom 29.8.2021)