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Hause, um nicht sogleich gefunden zu werden, falls die Behörden versuchen sollten, uns zu verhaften. Ich ruhte im Zimmer eines Freundes aus, inmitten von Musketen und Patronenkisten, die dort zur Verteilung bereitgehalten wurden.

Erst gegen Abend des nächsten Tages kam unser Bote von Köln zurück. Er berichtete, daß man sich dort den angesammelten Truppenmassen gegenüber nicht imstande fühle, mit irgendwelcher Aussicht auf Erfolg einen Schlag zu führen; daß man sich auf Fortsetzung des „passiven Widerstandes“ und weitere Agitation beschränkten werde, und daß man uns dringend empfehle, dasselbe zu tun und somit von allen gewaltsamen Versuchen, die jetzt nur schaden könnten, bis auf weiteres abzustehen. Es blieb uns also nichts anderes übrig, als der Anweisung der Kölner folgend, unsern Grimm zu verbeißen und unsere Freunde auf dem Lande still zu halten. So geschah es bei uns, und so geschah es allenthalben im Königreich Preußen. Die konstituierende Versammlung hatte der Regierung einen unblutigen Sieg überlassen und der Steuerverweigerungsbeschluß blieb ein toter Buchstabe.

Den demokratischen Führern unter den Studenten jedoch schien der praktische Versuch, die Steuerverweigerung in Bonn in Szene zu setzen, übel vermerkt zu werden. Bald verbreitete sich das Gerücht, daß gegen drei oder vier von uns, unter andern gegen mich, Verhaftsbefehle erlassen worden seien. Ob es wirklich so war, weiß ich nicht, aber es wurde geglaubt, und unsere nicht kompromittierten Freunde gingen sofort ans Werk, das Unheil von uns abzuwenden. Durch verschiedene größere und kleinere Demonstrationen wußten sie unter den Bürgern der Stadt den Eindruck hervorzubringen, daß, wenn man uns ein Haar krümme, die ganze Studentenschaft Bonn verlassen werde. Da nun der Wohlstand der Stadt in großem Maße von der Anwesenheit der Studenten abhing, so versetzte diese Drohung die Bürger in nicht geringe Besorgnis. Viele von ihnen bestürmten den Bürgermeister mit der Bitte, daß er seinen ganzen Einfluß aufbieten möge, um durch die Erwirkung eines Versprechens von den höheren Behörden, daß uns nichts geschehen solle, das drohende Unglück abzuwenden. Wirklich wurde uns nach wenigen Tagen von unsern Freunden angekündigt, daß ein solches Versprechen erfolgt sei, und daß uns diesmal nichts geschehen solle. Wir kamen also aus den Verstecken, in denen wir uns eine kurze Weile verborgen gehalten, wieder hervor, und ich fuhr fort, für unsere Zeitung zu schreiben, in Versammlungen zu reden und Vorlesungen zu hören, soweit ich dafür Zeit fand. Doch wurden der Stunden, die ich für meine Fachstudien erübrigen konnte, immer weniger.

Nachdem er seinen Sieg über die konstituierende Versammlung gewonnen, fühlte der König sich stark genug, eine Verfassung für Preußen zu „oktroyieren“, d. h. aus eigener Macht ohne Beistimmung einer Volksvertretung zu verkünden. Diese Konstitution verordnete das Zweikammersystem. Die Kammern wurden sofort berufen, und Kinkel trat im Bonner Wahlkreise als Kandidat für die zweite Kammer, das Volkshaus, auf. Er wurde mit ansehnlicher Mehrheit gewählt und mußte bald darauf seinen Sitz einnehmen. Frau Johanna begleitete ihn nach

Empfohlene Zitierweise:
Carl Schurz: Lebenserinnerungen bis zum Jahre 1852. Berlin: Georg Reimer, 1911, Seite 106. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Schurz_Lebenserinnerungen_b1_s106.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)