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mißlang. Lange ehe wir den Siegfluß hätten erreichen können, erklang in geringer Entfernung hinter uns das Trabsignal der Dragoner. Anneke, der offenbar der Kampffähigkeit seiner Schar nicht traute, ließ sofort halt machen und sagte den Leuten, sie seien augenscheinlich nicht imstande, den herankommenden Truppen erfolgreichen Widerstand zu leisten; sie sollten daher auseinandergehen und, wenn sie sich der Sache des Vaterlandes weiter widmen wollten, ihren Weg nach Elberfeld finden, oder nach der Pfalz, wie er es tun werde. Dieses Zeichen zur Auflösung wurde sofort befolgt. Die meisten zerstreuten sich in den umliegenden Kornfeldern, während einige von uns, etwa zwanzig, an der Seite der Straße stehen blieben. Die Dragoner ritten ruhig im Trabe durch auf Siegburg zu. Es waren ihrer nur etliche dreißig, also nicht genug, uns zu überwältigen oder selbst auf der Straße durchzudringen, hätten diejenigen von uns, die Feuerwaffen trugen, einen geordneten Widerstand geleistet.

Als nun die Dragoner zwischen uns durchgeritten waren und sich der Unsrigen nur wenige in der Dunkelheit auf der Straße zusammenfanden, überkam mich ein Gefühl tiefer, grimmiger Beschämung. Unser Unternehmen hatte also nicht nur einen unglücklichen, sondern einen lächerlichen, schmachvollen Ausgang genommen.

Vor einer Handvoll Soldaten war unsere mehr als dreimal so starke Schar, ohne einen Schuß zu feuern, auseinander gelaufen. So bewahrheiteten sich die großen Worte derer, welche der Freiheit und Einheit des deutschen Volkes Gut und Blut, Leib und Leben zu opfern versprochen. – Ich suchte Kinkel, konnte ihn aber in der Finsternis nicht finden. Endlich stieß ich auf Kamm und Ludwig Meyer. Sie fühlten beide wie ich, und wir beschlossen sofort, vorwärts zu gehen und zu sehen, was sich noch werde tun lassen. So marschierten wir denn den Dragonern nach und trafen in der kleinen Stadt Siegburg kurz vor Tagesanbruch ein. Der dortige demokratische Verein, mit dem wir Verbindung unterhalten und dessen Führer uns in der vergangenen Nacht erwartet hatten, benutzte einen Gasthof, der Reichenstein genannt, als sein Hauptquartier. Dorthin begaben wir uns. Unsere demokratischen Freunde waren früh morgens zu Stelle, und mit ihnen berieten wir eifrig die Frage, ob nicht trotz des armseligen Fehlschlages der vergangenen Nacht und der Besetzung des Zeughauses durch die Dragoner das Zeughaus dennoch genommen und ein Aufstand organisiert werden könnte, um unseren bedrängten Gesinnungsgenossen in Düsseldorf und Elberfeld Luft zu machen. Die Stimmung unserer Siegburger Freunde klang wenig ermutigend. Ich war in einer fieberhaften Aufregung, die durch neue Nachrichten von Elberfeld noch gesteigert wurde. Obgleich todmüde, konnte ich nicht schlafen. Im Laufe des Tages sammelte sich eine große Menschenmenge, einberufene Landwehrleute und andere aus der Umgegend. Bald wurden Reden gehalten, und ich forderte direkt und wiederholt zur Stürmung des Zeughauses auf. Ein Gerücht drang zu mir, daß während des Tages in Bonn ein Kampf zwischen Bürgern und Militär ausgebrochen sei, und das Gerücht teilte ich der versammelten Menge mit, mußte aber, nachdem spätere Nachrichten angekommen, zu meiner Beschämung gestehen, daß ich übel berichtet gewesen.

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Carl Schurz: Lebenserinnerungen bis zum Jahre 1852. Berlin: Georg Reimer, 1911, Seite 118. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Schurz_Lebenserinnerungen_b1_s118.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)