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hingereicht haben, sie in die Reihen der Liberalen zu treiben, wäre nicht das geweckte, lebhafte, aufgeklärte Völkchen von Natur aus zu einer liberalen Denkweise disponiert gewesen. Daß dieser Liberalismus bei den Pfälzern einen entschieden deutsch-nationalen Charakter trug, versteht sich von selbst. In der Tat hatte sich eine der berühmtesten nationalen Demonstrationen anfangs der dreißiger Jahre, das „Hambacher Fest“ auf pfälzischem Boden abgespielt, und unter den Führern der nationalen Bewegung gab es immer Pfälzer in vorderster Reihe.

Als nun der König von Bayern die von dem Frankfurter Nationalparlament gemachte Verfassung anzuerkennen verweigerte, brach in der Pfalz sofort die allgemeine Entrüstung in hellen Flammen aus. Es verstand sich bei den Pfälzern von selbst, daß, wenn der König von Bayern nicht deutsch sein wollte, die Pfalz aufhören müsse, bayerisch zu sein. Am 2. Mai wurde in Kaiserslautern eine große Volksversammlung abgehalten, in der alle liberalen Vereine der Pfalz vertreten waren. Diese Versammlung ernannte einen „Landesverteidigungsausschuß“ welcher den gefaßten Beschlüssen gemäß die Regierung der Provinz in die Hände nehmen und für die Organisierung einer bewaffneten Macht sorgen sollte. Die Stimmung der pfälzischen Bevölkerung war so einmütig, daß, mit Ausnahme einiger Beamten- oder Militärkreise und einiger Ortschaften, in denen eine altbayerisch gesinnte Geistlichkeit besonderen Einfluß ausübte, die Autorität des Ausschusses innerhalb der Landesgrenze so ziemlich allgemeine Anerkennung fand.

Die heillose Verworrenheit, welche die Weigerung des Königs von Preußen, die Reichsverfassung und die Kaiserkrone anzunehmen, über Deutschland gebracht hatte, trat nun kraß zutage. Wie schon erwähnt, forderte das Nationalparlament am 4. Mai durch Beschluß „die Regierungen, die gesetzgebenden Körper, die Gemeinden der Einzelstaaten, das gesamte deutsche Volk auf, die Verfassung des deutschen Reichs zur Anerkennung und Geltung zu bringen“. Da nun der König von Bayern die Reichsverfassung anzuerkennen verweigerte, so fühlten die Pfälzer mit vollem Recht, daß sie, indem sie sich gegen die bayerische Regierung erhoben, im Sinne des Beschlusses des Nationalparlamentes handelten, – in der Tat, daß sie einem Befehl der höchsten nationalen Autorität in Deutschland zu gehorchen suchten. Der Landesausschuß wandte sich also in durchaus logischer Weise durch die pfälzischen Abgeordneten im Nationalparlament an dieses und an die provisorische Reichszentralgewalt um Anerkennung und Schutz. Die Reichszentralgewalt, an deren Spitze, wie bekannt, der österreichische Erzherzog Johann stand, schickte darauf einen Reichskommissar, Dr. Eisenstuck, einen Altliberalen nach der Pfalz, um an Ort und Stelle „im Namen der Reichsgewalt alle zur Aufrechterhaltung oder Wiederherstellung der Gesetze in jenem Lande erforderlichen Maßregeln zu ergreifen“, und insbesondere Fürsorge zu treffen, daß gewisse vom Landesausschusse gefaßten Beschlüsse wieder aufgehoben werden möchten. Der Reichskommissar erklärte auch die betreffenden Beschlüsse für aufgehoben, „bestätigte“ aber den „Landesausschuß für Verteidigung und Durchführung der deutschen Reichsverfassung“ und erklärte denselben für berechtigt, die Volkswehr zu organisieren, zu bewaffnen und auf die Reichsverfassung zu vereidigen,

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Carl Schurz: Lebenserinnerungen bis zum Jahre 1852. Berlin: Georg Reimer, 1911, Seite 122. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Schurz_Lebenserinnerungen_b1_s122.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)