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enthielt, schlug ebenfalls fehl. So blieb denn der Waffenmangel eine der drückendsten Sorgen der provisorischen Regierung.

Diese bestand aus durchaus ehrenwerten, wohlmeinenden, braven Männern, denen man es nicht übel anrechnen darf, daß sie den Schwierigkeiten ihrer Situation, welche nur ein eminentes Genie, verbunden mit höchster Tatkraft, hätte überwinden können, nicht gewachsen waren. Ebensowenig gelang es ihnen, gerade solche Leute, wie sie eine so gewaltige Arbeit erfordert, in ihren Dienst zu ziehen. Den Oberbefehl über die bereits bestehenden und noch zu organisierenden Streitkräfte gaben sie zuerst einem ehemaligen Kommandeur der Bürgergarde in Wien, Fenner von Fenneberg, – einem Mann, der sich zum professionellen Revolutionär entwickelt hatte und seine Zeit hauptsächlich damit zubrachte, in bissigem Gerede andern die Schuld zuzuschreiben, wenn nichts geleistet wurde. Später schrieb er ein Buch, um die Unfähigkeit der provisorischen Regierung nachzuweisen, bei welcher Gelegenheit er seine eigene aufs schlagendste dokumentierte. Fenneberg mußte bald abtreten, und das Kommando ging dann provisorisch an eine Militärkommission über, die hauptsächlich aus ehemaligen preußischen Offizieren bestand, wie Techow, Schimmelpfennig, Anneke und Beust. Diese waren durchweg sehr tüchtige Leute, aber mehr geeignet für die Führung bereits fertiger Truppenkörper im Felde, als für die Schöpfung einer Armee in einem Lande, dessen Bevölkerung dem an stramme Disziplin und rasches Gehorchen gewöhnten preußischen Offizier nicht recht verständlich war und auch diesen mit seinem kurz angebundenen Wesen nicht besonders sympathisch fand. Doch leistete diese Kommission alles, was von ihr erwartet werden konnte. Mittlerweile aber engagierte die provisorische Regierung um schweres Geld, die Summe von 10000 Gulden, die Dienste eines alten polnischen Generals namens Sznayde, dem nachgesagt wurde, daß er eigentlich Schneider heiße. Offiziere, die in den großen polnischen Befreiungskämpfen gefochten hatten, erschienen damals noch von dem Nimbus des revolutionären Heldentums umflossen. Die volkstümliche Legende schrieb ihnen nicht allein außerordentliche Tapferkeit, sondern auch alle möglichen militärischen Talente und eine besondere Kenntnis aller Geheimnisse der Kriegskunst zu. Es war, als würde an den Sammelplätzen der polnischen Flüchtlingschaft, besonders in Paris und in der Schweiz, ein Vorrat von Feldherren auf Lager gehalten, um gelegentlich in irgend einem Teile der Welt an vorkommende revolutionäre Unternehmungen abgesetzt zu werden. Unter diesen polnischen Offizieren gab es unzweifelhaft Männer von bedeutenden Fähigkeiten, wie Dembinsky, Bem, Mieroslawksi und andere, – aber auch viel wertloses oder abgestandenes Material. Wie nun die provisorische Regierung der Pfalz auf den General Sznayde verfallen war, weiß ich nicht. Er soll in dem polnisch-russischen Kriege von 1830 und 1831 ein recht tapferer Reiteroffizier gewesen sein; aber im Jahre 1849 hätte man schwerlich einen General finden können, der zum Kommandeur der pfälzischen Volkswehren schlechter gepaßt hätte. Er war ein sehr dicker und sehr schwerfälliger alter Herr, dessen Aussehen vermuten ließ, daß er Messer und Gabel viel mehr zu handhaben liebte als den Säbel, und dem es um seine Nachtruhe offenbar mehr

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Carl Schurz: Lebenserinnerungen bis zum Jahre 1852. Berlin: Georg Reimer, 1911, Seite 126. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Schurz_Lebenserinnerungen_b1_s126.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)