Seite:Schurz Lebenserinnerungen b1 s132.jpg

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ein Pferd zugewiesen, ein hübsches, hellbraunes Tier; und da ich das Reiten noch nicht verstand, so schickte mich Anneke in eine Reitbahn, wo ein Reitmeister mich aufsitzen hieß, mir in kurzen Worten den Schluß mit den Beinen und die Handgriffe der Führung erklärte, worauf er mit seiner Peitsche auf das Pferd einhieb, das in ziemlich wilden Sätzen mit mir umhersprang, bis ich seiner mächtig wurde. „So“, sagte der Reitmeister, „jetzt haben Sie genug für diese Gelegenheit. Das andere lernen Sie schon auf dem Marsch.“ Ich wurde auch mit einer Kavalleriereithose ausgestattet, die so schwer mit Leder besetzt war, daß sich nur mit Mühe darin zu Fuß gehen ließ. Der Reitmeister hatte Recht gehabt. Die fortwährende Übung im aktiven Dienst machte mich bald zu einem sattelfesten und nicht ungeschickten Reiter.

Obgleich der Einmarsch der Preußen und der Befehl zum Rückzuge der pfälzischen Truppen von den Wohlunterrichteten schon mehrere Tage erwartet worden, so hatten diese Ereignisse doch die Wirkung, die gemütliche Verwirrung, die seit dem Ausbruch des Aufstandes in Kaiserslautern geherrscht hatte, bedeutend zu erhöhen und zu einer recht ungemütlichen zu machen. Des Befehlens und Anordnens und Widerrufens von Befehlen war kein Ende, und das Durcheinander wuchs von Stunde zu Stunde, bis es endlich zum wirklichen Aufbruch kam. Wenn ich nicht irre, war es in der Nacht vom 13. auf den 14. Juni. Mit unserer Artillerie gab’s allerdings nicht viel Schwierigkeit, da sie, wie schon erzählt, aus sehr wenigen Stücken bestand. Um zwei Uhr nachts stiegen wir zu Pferde. Ein Nachtmarsch ist fast immer eine trübselige Geschichte, besonders aber ein Nachtmarsch rückwärts. Doch muß ich gestehen, daß mich das dumpfe Rollen der Räder auf der Straße, das summende und schnurrende Geräusch der Marschkolonne, das leise Schnauben der Pferde und das Klirren der Säbelscheiden in der Finsternis als etwas besonders Romantisches berührte. Darin fand ich viel Sympathie bei der Frau meines Chefs, Mathilde Franziska Anneke, einer noch jungen Frau von auffallender Schönheit, vielem Geist, großer Herzensgüte, poetisch feurigem Patriotismus und ausgezeichneten Charaktereigenschaften, die ihrem Mann auf diesem Zuge zu Pferde begleitete. Ich erinnere mich noch des gemeinsamen Entzückens, als wir in jener Nacht bei einem Wirtshause an der Straße vorüberritten, wo einige Freischärler, bärtige Gesellen in schwarzen befiederten Filzhüten und phantastisch ausgeschmückten Blusen, die Kugelbüchsen über die Schultern gehängt, sich bei dem matten Schein einer Kerze um die Wirtin drängten, die ihnen Wein einschenkte. Das Bild hätte eine Illustration zu Schillers Räubern vorstellen können. Überhaupt gab es unter unsern Kriegsvölkern malerische Effekte in Fülle. Da der bei weitem größte Teil der pfälzischen Volkswehr nicht uniformiert war und jeder Soldat mit Ausnahme der Waffen, so ziemlich für seine eigene Ausstattung zu sorgen hatte, so fand der individuelle Geschmack verführerischen Spielraum. Manche der Leute bestrebten sich, als Krieger möglichst wild und schreckhaft auszusehen, und so ließen sie nicht allein dem Bartwuchs alle erdenkliche Freiheit, sondern bedeckten ihre Hüte mit Federn, unter denen die roten besonders beliebt waren, trugen Überwürfe in schreienden Farben, und steckten, wenn sie deren habhaft

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Carl Schurz: Lebenserinnerungen bis zum Jahre 1852. Berlin: Georg Reimer, 1911, Seite 132. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Schurz_Lebenserinnerungen_b1_s132.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)