Seite:Schurz Lebenserinnerungen b1 s133.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

werden konnten, mörderisch blinkende Dolche oder Jagdmesser in ihre Gürtel. So gab es denn unter uns Wallensteinslagergestalten genug, die fürchterlich erschienen wären, hätten sie nicht gar so gutmütige Gesichter gehabt.

Mit Sonnenaufgang nach diesem ersten Nachtmarsch fanden wir uns bei Frankenstein in einem scharf eingeschnittenen Tal zwischen mittelhohen Bergrücken, wo wir quer über die Straße nach Neustadt eine Defensivstellung einnahmen. Ein kalter Morgen bringt unter solchen Umständen ein Gefühl durchaus unromantischer Nüchternheit mit sich, und ich machte die Erfahrung, daß dann ein warmer Trunk, sei der Kaffee auch noch so dünn, und ein Stück Brot zu den großen Wohltaten des Lebens gehört. Die Preußen drängten nicht scharf nach, und wir blieben den Tag über durchaus ungestört bei Frankenstein im Biwak. Am 15. und 16. Juni wurden die pfälzischen Truppen bei Neustadt an der Hardt und Edesheim zusammengezogen. In dieser reichen Gegend bezeugte uns die Dorfbevölkerung ihre freundliche Gesinnung vorzüglich damit, daß sie an den Türen vieler Häuser große Eimer voll Wein und dabei blecherne Schöpflöffel aufstellte, damit die vorüberziehenden Truppen sich daran laben möchten. Der geleerte Eimer wurde gewöhnlich sofort durch einen vollen ersetzt. Dort sah ich auch zum erstenmal den damaligen Freischarenführer und Obristen Blenker, der später in der ersten Periode des Rebellionskrieges in den Vereinigten Staaten als Brigadegeneral viel von sich reden machte. Er war eine ausnehmend stattliche, martialische Gestalt und vortrefflicher Reiter, und wie er, glänzend ausstaffiert, an der Spitze seines Stabes dahersprengte, imponierte er mir gewaltig. Der Anblick mehrerer wohlbewaffneter Bataillone erfrischte einigermaßen den durch den Rückzug getrübten Mut unserer Truppen, und es erscholl hier und da der Ruf, daß man nun die „sakermentschen Preußen“ erwarten solle. Aber der Rückzug wurde doch fortgesetzt und die Pfalz ohne Schwertstreich gänzlich aufgegeben. Am 19. Juni gingen wir, etwa 7 bis 8000 Mann stark, bei Knielingen über den Rhein auf badisches Gebiet und marschierten nach Karlsruhe.

Unser Einzug in die saubere, geschniegelte Hauptstadt des Großherzogtums Baden brachte unter den Einwohnern eine Sensation hervor, die dem pfälzischen Korps von Freiheitskämpfern keineswegs schmeichelhaft war. Die an das schmucke großherzogliche Militär gewöhnten Karlsruher Bürger schienen das Malerische und Romantische in dem Aussehen der pfälzischen Truppen durchaus nicht zu würdigen, sondern eher geneigt zu sein, ihre Türen und Läden zu schließen und ihre Habseligkeiten in Sicherheit zu bringen, wie man sich vor einer Räuberbande zu retten sucht. Wenigstens trugen die Gesichter vieler der Leute, die unseren Einmarsch beobachteten, unverkennbar den Ausdruck entschiedenen Widerwillens und ängstlicher Besorgnis. Wir trösteten uns mit dem Gedanken, der auch recht kräftigen Ausdruck fand, daß die Einwohnerschaft dieser Residenzstadt hauptsächlich aus Hofgesinde und Beamtenvolk bestehe und daß sie im Grunde des Herzens gut großherzoglich gesinnt sei und die Revolution grimmig hasse, wenn auch manche davon in den letzten Wochen die Republikaner gespielt hätten. Übrigens war der Wunsch der Karlsruher, die pfälzischen Gäste möglichst

Empfohlene Zitierweise:
Carl Schurz: Lebenserinnerungen bis zum Jahre 1852. Berlin: Georg Reimer, 1911, Seite 133. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Schurz_Lebenserinnerungen_b1_s133.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)