Seite:Schurz Lebenserinnerungen b1 s134.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

bald los zu sein, so groß, daß man diesen nicht einmal Gelegenheit gab, den furchtsamen Seelen zu beweisen, was für ehrliche und friedliebende Menschen unter diesen wilden Bärten, roten Federbüschen und dolchgespickten Gürteln versteckt waren. Noch am demselben Tage wurden uns Lager außerhalb der Stadt angewiesen und schon am 20. Juni marschierten wir nordwärts zur Unterstützung der badischen Armee, die unterdessen ins Gedränge gekommen war.

Diese badische Armee hatte die Nordgrenze des Großherzogtums gegen den Reichsgeneral Peuker verteidigt. Gerade beim Ausbruch der Feindseligkeiten erhielt auch sie ihren Polen, den General Mieroslawski, zum Oberkommandeur. Er war ein noch junger Mann, hatte im letzten polnischen Aufstand Fähigkeit und Bravour bewiesen, besaß aber keine Kenntnis der örtlichen Verhältnisse und konnte nicht deutsch sprechen. Jedenfalls war er dem alten Sznayde weit vorzuziehen. Am 20. Juni gingen die Preußen bei Philippsburg von der Pfalz aus über den Rhein und kamen so der badischen Armee in den Rücken. Mieroslawski wendete sich mit einer raschen Bewegung gegen sie, hielt sie durch einen entschlossenen Angriff bei Waghäusel fest und führte dann einen geschickten Flankenmarsch aus, welcher ihn zwischen den Preußen und den Peukerschen Reichstruppen durchführte und mit dem pfälzischen Korps und den vom Oberlande herankommenden badischen Reserven in Verbindung brachte. Das Gefecht bei Waghäusel war für die badischen Truppen keineswegs ein unrühmliches. Wir hörten den Kanonendonner, als wir über Bruchsal heranmarschierten, und bald gingen auch Gerüchte von einem großen über die Preußen erfochtenen Siege um. Die weitere Nachricht, daß Mieroslawski auf dem Rückzuge sei, die württembergische Grenze entlang, und daß wir seine Flanke zu decken hätten, störte uns wenig in dem Glauben an den „Sieg bei Waghäusel“, dessen Früchte, wie es hieß, durch den „Verrat“ des Dragonerobersten, der den geschlagenen Feind verfolgen sollte, verloren gegangen seien. Am 23. Juni rückten wir nach Ubstadt vor, und dort empfingen wir die Kunde, daß wir am nächsten Morgen mit dem preußischen Vortrab zusammentreffen und uns zu schlagen haben würden. Die Aufträge, die ich von meinem Chef empfing, hielten mich bis nach Einbruch der Dunkelheit zu Pferde, und es war spät, als ich mein Quartier im Wirtshaus zu Ubstadt erreichte. Mein Chef hatte sich schon zur Ruhe gelegt. Von allen Seiten hörte ich das Schnarchen der Schlafenden. Nur die Wirtstochter, eine stramme Jungfrau von 25 Jahren und sehr resolutem Wesen, schien noch geschäftig zu sein. Ich bat sie um einen Bissen Brot und eine Lagerstätte und erhielt beides mit einem kräftigen Sprüchlein über die „verfluchten Preußen“, die in dem „badischen Ländle“ nichts zu tun hätten, und die wir tüchtig durchklopfen und dann heimschicken sollten. Nun erwartete ich die feierliche Stimmung „am Abend vor der Schlacht“, von der ich hier und da gelesen hatte. Aber sie kam nicht. Ich schlief sogleich ein, nachdem ich mich auf mein Lager hingestreckt hatte.

Auch am andern Morgen, dem „Morgen vor der Schlacht“, wollte mir nicht feierlich zumute werden. Es schien mir fast, als ob über solche „Stimmungen“ sehr viel Unwirkliches phantasiert würde. In meinem späteren Leben habe ich die Erfahrung gemacht, daß sie

Empfohlene Zitierweise:
Carl Schurz: Lebenserinnerungen bis zum Jahre 1852. Berlin: Georg Reimer, 1911, Seite 134. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Schurz_Lebenserinnerungen_b1_s134.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)