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wurde, zu denen gehörte, die eine günstige Erwägung dieses Anerbietens empfahlen, und daß, wäre er statt seines Bruders König von Preußen gewesen, die Krisis wahrscheinlich eine den deutschen Einheitsbestrebungen ersprießlichere Lösung gefunden haben würde, wußte man damals noch nicht. Auch würde eine solche Kunde schwerlich geglaubt worden sein, denn man hielt den Prinz von Preußen für einen ehrlichen und durchaus unverbesserlichen Absolutisten, der standhaft daran glaubte, daß die Könige von Gott eingesetzt und nur Gott Rechenschaft schuldig seien; daß das Volk nichts mit den Geschäften der Regierung zu tun haben dürfe; daß eine Auflehnung gegen die Königsgewalt einer direkten Beleidigung Gottes gleichkomme, und daß es eine gebieterische Pflicht der Gewalthaber sei, über ein solches Verbrechen die erdenklich schwerste Strafe zu verhängen. So erschien der Prinz von Preußen dem Volke auch als ein fanatischer Soldat, dem die preußische Armee ein Herzensidol war – der in ihr das Schwert Gottes, das Bollwerk der Weltordnung sah; in dessen Augen ein preußisches Landeskind, das gegen die preußische Armee kämpfte, ein unsühnbares, dem Elternmorde an Fluchwürdigkeit nicht nachstehendes Verbrechen beging, und von dem ein solcher Verbrecher keine Gnade erwarten dürfe. Wir geborenen Preußen hatten also, wenn wir in die Hände des Prinzen Wilhelm fielen, die beste Aussicht, standrechtlich erschossen zu werden – besonders diejenigen, die, wie ich, gerade in den militärdienstpflichtigen Jahren standen. Und dabei erinnerte ich mich, daß ich kurz vor der Siegburger Affäre vor der königlichen Aushebungskommission hatte erscheinen müssen, welche, indem sie meine Eingabe um Zulassung als „Einjährig-Freiwilliger“ willkürlich übersah, mich für ein Kürassierregiment bestimmte, mit Aussicht auf baldige Einberufung. Für mich würde es also gewiß keine Nachsicht geben. – Mit diesen schweren Gedanken ging ich zu Bette. Aber dennoch schlief ich gesund und wachte nicht auf bis am hellen Morgen.

Die Pflichten, die der Gouverneur mir zuwies, als ich mich wieder bei ihm meldete, waren nicht schwer. Ich hatte zu gewissen Stunden oben auf der höchsten Galerie des Schloßturmes mit einem Fernrohr versehen den Feind zu beobachten und von dem, was ich sah, Meldung zu machen. Dann sollte ich periodisch gewisse Wälle und Tore abgehen und die Wachtposten inspizieren, schließlich noch solche Dinge tun, die der Gouverneur, wenn ich eben zur Hand war, mir auftragen mochte. Um mir das nötige äußere Ansehen zu geben, wurde ich mit der Uniform eines regulären badischen Infanterieleutnants ausgestattet, die den abenteuerlich kostümierten pfälzischen Freischärler in einen recht anständig erscheinenden Offizier verwandelte und mir ein bis dahin kaum geahntes militärisches Gefühl gab.

Es gelang dem Obersten Tiedemann in der teils aus Volkswehren, teils aus regulären badischen Soldaten bestehenden Garnison ziemlich gute Zucht zu halten. Nur einmal, soviel ich mich erinnern kann, beobachtete ich eine ernstliche Störung der Ordnung. Einige Soldaten glaubten, einen Spion entdeckt zu haben, und bald stürzte eine wütenden Rotte hinter dem armen Menschen her, der sich durch die Flucht zu retten suchte, aber nach wenigen Schritten unter Steinwürfen und

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Carl Schurz: Lebenserinnerungen bis zum Jahre 1852. Berlin: Georg Reimer, 1911, Seite 138. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Schurz_Lebenserinnerungen_b1_s138.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)