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Berührung, aber da ich noch ein sehr junger Mensch war, so wurde diese Berührung doch keine intime. Die Hauptfiguren, deren ich mich erinnere, waren Oberst Biedenfeld, ein strammer alter Soldat, wenn ich nicht irre früher badischer Hauptmann, der nun in der Festung die reguläre Infanterie kommandierte; Oberst Böhning, ein alter, weißlockiger, ehrwürdig aussehender Freischärler, der einen Teil der Volkswehren unter sich hatte; Major Heilig, der Artilleriechef, ein etwa 6½ Fuß großer, schlanker Mann von höchst gewinnendem, ehrlich-gutmütigem Gesichtsausdruck; Oberstleutnant Otto von Corvin, ein auffallend hübscher Mann von einigen dreißig Jahren, ehemaliger preußischer Leutnant, der, wie ich glaube, ebenfalls nur durch Zufall in der Festung zurückgehalten worden war, und Major Mahler, ehemaliger badischer Leutnant, ein junger, lustiger Infanterieoffizier, der, wie es das Schicksal später fügte, nach Jahren in Amerika unter meinem Kommando für die Union kämpfen und bei Gettysburg fallen sollte.

Die liebste meiner Pflichten war die Observation von der Höhe des Schloßturmes aus. Ich hatte von dort einen herrlichen Ausblick, – nach Osten tief in die Berge hinein, in welchen Baden-Baden liegt: über das lachende Rheintal mit seinen üppigen Feldern und Weingärten, seinen schattigen Wäldern und den Kirchtürmen seiner unter Obstbäumen verborgenen Dörfer, – nach Süden das blühende Tal vom Schwarzwald begrenzt, nach Norden in die sich breit ausdehnende Ebene hinunter, nach Westen bis ins Elsaß jenseits des Rheins mit blauen Berglinien in der Ferne. Wie schön war dies alles! Die Natur, wie liebevoll in ihrer reichen, freigiebigen Güte! Und da lag nun in all dieser scheinbar so friedlichen Herrlichkeit „der Feind“, der uns eng und fest umzingelt hielt. Da sah ich seine Postenketten regelmäßig abgelöst und seine Reiterpatrouillen emsig hin und her schwärmend, und uns so scharf beobachtend, damit nur ja kein Menschenkind von uns da drinnen ihnen entschlüpfen möchte. Da sah ich des Feindes Batterien bereit, auf uns Tod und Verderben zu speien. Da sah ich seine Lager wimmelnd von vielen Tausenden von Menschen, von denen viele, ja wahrscheinlich eine große Mehrheit, so dachten wie wir und dasselbe wünschten wie wir, vielleicht Nachbarskinder aus meinem heimatlichen Dorfe darunter – und doch alle auf der Obern Geheiß jede Stunde bereit, uns die tödliche Kugel in die Brust zu schießen. Und auf alles dies floß in jenen Sommertagen des Himmels schönes Sonnenlicht so warm und friedlich strahlend herab, als wäre da nichts als Glück und Harmonie. Alles dies so grausam unnatürlich und doch so wahr!

Das war ein sonderbares Leben in der belagerten Festung. Da es mit Ausnahme des einen Ausfalls keine Kampfaufregung gab, so machten wir Soldaten mechanisch Tag für Tag unsere Dienstroutine durch und die Bürgersleute gingen den Geschäften nach, die ihnen dieser fremdartige Zustand noch übrig gelassen, alle in dumpfer Besorgnis das Schicksal erwartend, das nicht abgewendet werden konnte. Die Welt da draußen lag weit, weit von uns in unermeßlicher Entfernung. Da saßen wir zwischen unsern Mauern und Wällen abgeschlossen von

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Carl Schurz: Lebenserinnerungen bis zum Jahre 1852. Berlin: Georg Reimer, 1911, Seite 140. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Schurz_Lebenserinnerungen_b1_s140.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)