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und einer weitern Beschießung aussetzen, und alles dies umsonst. Es sei Zeit, ein Ende zu machen, was auch mit uns geschehen möge. – Es ging ein Gemurmel durch den Saal, daß dieser Mann vernünftig gesprochen; und so wurde denn der Beschluß gefaßt, daß Corvin noch einmal versuchen solle, für die Offiziere und Mannschaften der Besatzung im preußischen Hauptquartier günstige Bedingungen zu erwirken. Wenn er aber nach gemachtem Versuch die Unmöglichkeit einsehe, solche Bedingungen zu erhalten, so solle er für die Übergabe auf Diskretion die nötigen Bestimmungen abschließen. Als wir den Saal verließen, fühlten wohl die meisten von uns, daß an etwas anderes als an eine Kapitulation auf Gnade oder Ungnade kaum zu denken sei.

Es war ein schöner Sommertag. Nachmittags stieg ich noch einmal auf den Observationsturm, auf welchem ich so manche Stunde zugebracht hatte. Die herrliche Landschaft lag still vor mir im heitern, warmen Sonnenschein. Sie erschien mir sogar schöner als je zuvor. Es war mir, als müßte ich von ihr einen letzten Abschied nehmen. „Wir Preußen müssen ja wahrscheinlich so wie so sterben.“ Diese Worte klangen mir in den Ohren, und ich war von ihrer Wahrheit überzeugt. Und zu diesen Preußen gehörte auch ich. Ich erinnere mich noch lebhaft der Gedanken, welche mir da auf dem Schloßturm durch den Kopf gingen. Eine Erinnerung drängte sich mir immer wieder auf, wie vor einigen Jahren mein Vater in Köln mit mir den Professor Pütz besuchte, dessen Liebling ich war; wie der Professor seine Hand auf meine Schulter legte und lächelnd zu meinem Vater sagte: „Ein hoffnungsvoller Junge!“ – und wie stolz dann mein Vater mit dem Kopf nickte und mich ansah. „Mit dem hoffnungsvollen Jungen ist es jetzt wohl aus“, sagte ich nun zu mir selbst. Viele der kühnen Träume von großer, segensreicher Wirksamkeit, denen ich mich früher hingegeben, fielen mir wieder ein, und es schien mir doch recht hart, aus der Welt gehen zu müssen, ehe ich etwas Tüchtiges und Würdiges darin geleistet hätte. Ein Gefühl tiefen Bedauerns kam über mich – nicht meinethalben allein, sondern auch für meine Eltern, die so viel von mir erwartet, denen ich die Stütze ihres Alters sein sollte, und die nun all ihre Hoffnungen zertrümmert sähen. Schließlich blieb mir nichts übrig als der Vorsatz, wenn es denn zu Ende gehen müsse, dem Schicksal mit Mut und Würde ins Auge zu sehen.

Ich blieb auf dem Geländer der Turmgalerie sitzen, bis die Sonne untergegangen war, als hätte ich zu guter Letzt noch an der schönen Welt mich satt sehen wollen. Dann stieg ich hinab und meldete mich beim Gouverneur, ob er noch Befehle für die Nacht habe. „Heute nacht sollte jeder meiner Offiziere auf den Wällen sein“, sagte er. „Ich fürchte, die Leute wissen, daß wir uns morgen ergeben, und werden ihre Posten verlassen. Das sollte nicht sein.“ Ich war froh, etwas zu tun zu haben, das meine Gedanken beschäftigte. Auf den Wällen war allerdings viel Geräusch und Verwirrung. Viele der Leute hielten es für überflüssig, sich noch um den Dienst zu kümmern, da morgen doch alles vorbei sein werde. Es gab auch viel Lärmens in den Schänken der Stadt, denn der Soldat wollte sich zuletzt noch einmal ein Gutes antun. Aber die Ermahnungen, welche die Offiziere

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Carl Schurz: Lebenserinnerungen bis zum Jahre 1852. Berlin: Georg Reimer, 1911, Seite 143. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Schurz_Lebenserinnerungen_b1_s143.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)