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die alten Erinnerungen aufzufrischen, und sie werden ebensoviele andere mit sich bringen, die indessen sich dem Vereine angeschlossen und die Stadt Gmünd noch nie oder seit Jahrzehnten nicht mehr gesehen haben. Sie alle werden überrascht sein von den vielen Veränderungen, die sich in dieser verhältnismäßig kurzer Spanne Zeit in der Stadt und an ihr zu ihren Gunsten vollzogen haben. Noch liegt ja freilich „die Perle des Remstals“, wie damals, gar lieblich eingebettet in das ziemlich geweitete Wiesental zu Füßen der drei Kaiserberge der schwäbischen Alb, umkränzt von anmutigen Höhenzügen, von deren sorglich angepflanzten Gehängen die zahlreichen schmucken Landhäuser mit ihren Anlagen zum Tale niedergrüßen; aber die Stadt selbst finden die Besucher in einem durchweg neuen Gewande, bedeutend verschönert und vergrößert durch herrliche Neubauten und Verbesserung des Alten. Neue Stadtteile tun sich vor ihren Augen auf, neue Straßen sind entstanden und der Stadtgarten - früher Mayersche und Haubersche Garten - ist in einen prächtigen Park umgewandelt, an dem sich eine Großstadt nicht zu schämen brauchte, und die Zahl ihrer Einwohner ist nach der neuesten Zählung von 15000 auf 20500 gestiegen.

Schenken wir in nachstehendem der Stadt und ihrer Umgebung einige Aufmerksamkeit. Die wenigen Zeilen, mit welchen wir unsere lieben Gäste erfreuen und zugleich herzlich willkommen heißen möchten, seien ihnen in alter Liebe und Hochschätzung gewidmet.

Um einen allgemeinen Ueberblick und Gesamteindruck über Stadt und Umgebung zu gewinnen, ersteigen wir am besten einen der Hügel, welche die Stadt umlagern - sagen wir den Lindenfirst. Von hier aus haben wir die ansehnliche Stadt mit ihren herrlichen Kirchen- und Profangebäuden und ihren zahlreichen Türmen stattlich ausgebreitet zu unseren Füßen und sehen wie aus der Vogelschau hinab auf ihre freien Plätze, vor allem auf den schönen, großen Marktplatz; hinab zu den reichbeschatteten Promenaden, welche die Stadt umziehen; überblicken die neuentstandenen Stadtteile im Süden und Westen mit ihren Prachtbauten, wie das Realgymnasium, das Königl. Schullehrerseminar, St. Ludwig und viele andere; verfolgen den mit einem Walde von Obstbäumen bedeckten Abfall des Straßdorfer- und Siechenbergs, aus grünem Teppich zahlreiche schmucke Landhäuser auftauchen; schauen hinein in das liebliche Bettringer Tälchen mit den tiefeingeschnittenen Rinnen des Bettringer- und Josephsbach und deren mit Obstbäumen bewaldeten Gehänge; hinüber zur Bettringer Höhe, die sich in ihrem Ausläufer, dem mit herrlichen Linden bedeckten Zeiselberg, weit zum Tale gegen die Stadt vorschiebt; hinauf ins breite üppige Remstal gegen Hussenhofen, hinweg über die Vorstadt „unterm Buch“, und talabwärts zu der häuserreichen Lorcher Straße mit ihren Gartenanlagen, und hinüber zu dem bedeutsamen Hügel, der einst ein römisches Kastell auf seinem Rücken getragen, dem jetzigen Schierenhof.

Von den Befestigungen der ehemaligen Reichsstadt mit Graben und Mauern sind nur mehr kleine, kaum bemerkbare Ueberreste vorhanden, wogegen eine Anzahl fester und wohlerhaltener Türme stolz über die Stadt sich erheben als beredte Zeugen für die Bedeutung dieses Platzes schon im frühen Mittelalter. Da ist es vor allem der massige, 30 m hohe, gegen die Stadt offene Königsturm, der von seiner stolzen Höhe die ganze Stadt beherrscht und über sie dahin schaut und seinem Namen Ehre macht. Die ehemalige Stadtmauer mit Graben auf der Ostseite der Stadt ist längst verschwunden, nicht aber ihre Bollwerke: der feste Rinderbacher Torturm mit seinen Wundmalen, die ihm die feindlichen Kugeln bei der Belagerung der Stadt im Schmalkaldischen Kriege durch die Sachsen (1546) geschlagen, der sog. Wasserturm und der Schmidtorturm; sie stehen noch gut erhalten an ihrem Platze und werden, so hoffen wir, denselben auch noch recht lange behaupten. Der interessanteste und schönste Turm in seinem Aufbau ist - den Johannisturm ausgenommen - der fünfknöpfige, auch Knöpflesturm genannt, den Fuß in einer hübschen Lindengruppe mit Anlagen, an seinen drei äußersten westlichen Ecken erheben sich drei erkerartige Türmchen, die in Knöpfen endigen, und die mit den zwei Giebelspitzen ihm den Namen gegeben haben.

Erheben wir nun den Blick über die Stadt hinweg nach dem uns gegenüberliegenden Nordostabfall der Alb, so haben wir ein großartiges Landschaftsbild vor uns. Denn nicht überall zeigt sich die Alb so abwechslungsreich über dem ihr vorgelagerten, mit Ortschaften und Gehöften wie übersäten Flächengürtel (Straßdorf, Metlangen, Reitbrechts, Lenglingen, Ziegerhof, Maitis), und selten liegen hohe Albberge und liebliche Täler so nahe beieinander wie gerade hier, „und wenn noch“, meint Prof. Bürklen bei seiner Schilderung dieser Albpartie in Nr 10 der Bl. d. AV. Jahrg. 1896, „ein Neckar oder Rhein durch das Tal zöge, so könnte sich die Landschaft mit den schönsten Gegenden Deutschlands messen.“

Wie Perlen an der Schnur reihen sich die zahlreichen einzelnen Berge und Höhenpunkte vom Braunenberg bei Aalen bis zum Hohenstaufen aneinander, und diesem zur Rechten ziehen sich noch in blauer Ferne die sanften Linien der vielgestaltigen Mauer unserer Alb bis gegen den Breitenstein, die Teck und den Neuffen hin. Links gegen Osten entdeckt ein scharfes Auge den erzreichen „Braunen“ bei Aalen; er gehört dem Härdtsfeld jenseits des Kochers an; diesseits desselben beginnt das Aalbuch mit dem langgestreckten Höhenzug, Langert genannt, dann folgen andere, teils unbedeutendere Anhöhen. Aus allen aber ragt der herrliche Rosenstein heraus, reich an Sagen, interessanten Felsgruppen und Höhlen. Nach dem Rosenstein folgt der langgestreckte Scheuelberg bei Bargau; der Bernhardus mit seiner im Hochwald versteckten Kapelle, der kühn zum Waldstetter Tal vorspringende

Empfohlene Zitierweise:
Bernhard Kaißer: Schwäb. Gmünd und seine Umgebung. Tübingen, 1907, Spalte=267-268. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Schwaeb_Gmuend_und_seine_Umgebung_002.jpg&oldid=- (Version vom 18.8.2016)