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Franz Wilhelm Seiwert: Aufbau der Proletarischen Kultur. In: Die Aktion. Jg. 1920, Sp. 719–724

Vorbemerkungen Gesagten hervor, daß man über die letzte der drei Etappen am wenigsten zu sagen sich wird vermessen dürfen.


Erziehung – Wissenschaft

Die kommunistische Gesellschaft kennt in der Erziehung und der Teilnahme an den Kulturgütern keine Minderung des Kindes gegenüber dem Erwachsenen. Es gibt keine Kunst für das Kind, keine Erziehung für das Kind. Erziehung, Kunst, Teilnahme an der allgemeinen Kultur sind Kindern und Erwachsenen gemeinsam. Die Erziehung muß gegenseitig geschehen. Eine Grenze liegt nur in der Aufnahmefähigkeit, aber die kann bei Erwachsenen enger sein als bei Kindern. Eine Kunst, die sich nicht an das Kind wendet, ebenso wie an den Erwachsenen, ist keine Kunst. Nachdem die bürgerliche Wissenschaft sich selbst erledigt hat, ist es nicht Aufgabe der Arbeiterklasse, diesen Scheinwissenschaftsbetrieb wieder aufzurichten. Die Arbeiterschaft vergesse nicht, welche Stütze insbesondere die Hochschulen der Reaktion waren und, daß sie sich nach ihrer ganzen Art nicht ändern können noch wollen. Es sind, sobald die Arbeiterschaft die Macht dazu hat, alle bestehenden Schulbetriebe zu schließen. Die Schulen werden in Propagandastätten des Kommunismus umgewandelt und dienen in ihrem Aufbau der Vervollkommnung des sozialistischen Produktionsprozesses. Das heißt, die Schulen sind die Versuchswerkstätten des proletarischen Wirtschaftsbetriebes. Die bestehenden Lehrkräfte, sofern sie nicht sich durch die Tat in die Reihen des Proletariats stellten, sind zu entfernen. An ihre Stelle treten die besten Menschen, die das Proletariat besitzt. Es ist, bei dem neuen Wesen der Schule, nicht notwendig, daß es Berufslehrer sind, sondern sie müssen aus allen Berufen kommen, die in der sozialistischen Gesellschaft wirksam sind. Die Schule dient der Propagierung, der Klärung der kommunistischen Idee, deshalb müssen die Besten des Proletariats an ihr tätig sein.

Man kann zwei Richtungen menschlichen Erkenntnissuchens unterscheiden. Eine, die sich mit der Verbesserung, der Erleichterung, des äußeren Lebens des Menschen beschäftigt, die andere, die sich um die Erkenntnis des inneren Lebens des Menschen, der Dinge bemüht. Die beiden Richtungen können eigentlich nicht streng voneinander geschieden werden, da sie sich gegenseitig durchdringen, bedingen, aufeinander beziehen. Heute, wo alle Dinge voneinander getrennt sind, sind auch diese beiden geschieden und abgetrennt. Da die Lehrtätigkeit als Beruf aufgehoben wird und an seine Stelle die innere Berufung zum Lehrer tritt, kann die Vereinigung der beiden Richtungen beginnen. Denn der berufene Lehrer der Jugend kann keine abgegrenzte Berufsmaschine, die nur ihren Hammer, ihren Hebel weiß, sondern, muß ein Ganzer, ein Umfassender, muß ein Liebender sein.

F. W. Seiwert  Holzschnitt

Die Schule wird das Bild der höchsten Möglichkeit des in diesem Augenblick erreichten Wegpunktes des Sozialismus geben und der Verwirklichung der kommunistischen Idee immer um einiges näher sein, als das Leben außer ihr.

Es gibt keine Trennung zwischen Schule und werktätigen Leben. Die Schule ist die Bindung zwischen der die Familie umbildenden, kommunistischen Gemeinde und der proletarischen Gesellschaft. Die Kinder wachsen aus der kommunistischen Gemeinde in die Schule, die ein Teil der kommunistischen Gemeinde ist, und mit der Schule, da sie ebenfalls ein Teil der proletarischen Gesellschaft ist, in das tätige Leben innerhalb der proletarischen Gesellschaft hinein.

Die Schulen sind untereinander und mit der Gesellschaft nach dem System der Räte verbunden, zum gegenseitigen Austausch. Es besteht innerhalb der Schulen eine Freizügigkeit [722] über die ganze Erde. Die uneigennützige Mutter wird die beste Leiterin der Kleinen sein.

Die Kinder finden sich zu ihnen Gleichen, zu Freunden, zu Kameraden zum Spiel zusammen. Das Spiel ist dem Kinde Ernst. Das Spiel wird zu einer ernsten Arbeit, die mithilft in der Gesellschaft, bei der Erwachsene die Kinder sind, ihm Freunde, Kameraden, Helfer, Anleitende werden. Spielerische Arbeit ist ausgeschlossen[1].

Ist die härteste Not des Daseinskampfes der proletarischen Gesellschaft überwunden, beginnt in ihr bereits die Arbeit zum Spiel zu werden, so wird die Schule immer weiter und freier. Ich sehe wieder die Lehrer der Menschheit, wie Münder des Unbewußten, ihre Stimme zu ihren Brüdern, zu ihren Genossen erheben, gemeinsam mit ihnen die Wahrheit zu suchen, sich am Dasein des Lebens, am Spiel der Kräfte des Lebens zu erfreuen, es mit ihnen, durch sie, zu erleiden.

Muß ich es nochmal sagen, daß die heutigen Wissenschaftsbetriebe auch in ihrer höchsten äußeren Vervollkommnung, dies nicht zu fassen vermögen?



  1. Siehe auch Rühle: Das kommunistische Schulprogramm.
Empfohlene Zitierweise:
Franz Wilhelm Seiwert: Aufbau der Proletarischen Kultur. In: Die Aktion. Jg. 1920, Sp. 719–724. Die Aktion, Berlin-Wilmersdorf 1920, Spalte 721–722. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Seiwert_(1920)_Aufbau_der_Proletarischen_Kultur.pdf/2&oldid=- (Version vom 24.7.2016)