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Schriftsteller und in der englischen Literatur, auch in der orientalischen, soweit man es aus Uebersetzungen seyn kann, gut belesen; gegen mich bewies er sich besonders freundschaftlich und ich habe ihn später zu Paris wieder gesehen. Er ist vor vier oder fünf Jahren verstorben.

Widriges kam aber doch auch dazwischen. Eines Morgens sollte der Saal im Wilhelmshöher (damals einfältig genug Napoleonshöher) Schloß, der die Bibliothek enthielt, schnell zu andern Zwecken umgeschaffen werden. Auf das Unterbringen der Bücher anderswo war nicht der mindeste Bedacht genommen. Auf der Stelle mußte ich in anderthalb Tagen alle Schränke räumen, alle Bücher über einander werfen, und so gut oder übel das gehen wollte, in einen großen beinahe dunkeln Bodenraum schleppen lassen. Da lag nun das, wofür mein Amt geschaffen worden war, in leidigster Unordnung. Bald darauf wurden jedoch einige tausend Bände, die man für die nützlichsten hielt, ausgesucht, um im Kasseler Schloß zu den andern, die sich schon früher dort befanden, aufgestellt zu werden. Dort stand ihnen aber eine neue noch größere Gefahr bevor. Im Nov. 1811 gerieth um Mitternacht das Schloß in Brand; als ich hineilte, standen gerade die Gemächer unter dem Bibliothekszimmer in voller Flamme. In Rauch und Qualm wurden alle Bücher von Leibgardisten, die Lichter trugen, aus den Fächern genommen, in große Leinentücher gepackt und auf den Schloßplatz geschüttet. Neben und unter uns knisterte alles. Im Heruntergehen verirrte ich mich auf einer der kleinen Wendeltreppen, und mußte, ein Paar Minuten nach dem rechten Ausgang im Dunkeln umhertappen. Die wenigsten Bücher, was zu verwundern ist, giengen verloren, ehe aber neue Schränke bestellt und gemacht worden und ein neuer Ort für sie ausgewählt war, lag alles auf einem Haufen. Das waren nicht meine angenehmsten Tage.

1813, als der Krieg dem Königreich drohend näher rückte, wurde Befehl ertheilt, die kostbarsten Bücher zu Kassel und Wilhelmshöhe einzupacken, um sie nach Frankreich zu versenden. Ich fuhr mit Bruguiere nach Wilhelmshöhe, der besonders auf die Kupferstichwerke drang, und suchte wenigstens die Sammlung von Handschriften, die sich auf hessische Kriegsgeschichte bezogen und vom 30jährigen Krieg an begannen (es war Eigenhändiges von Gustav Adolph, von Amalie Elisabeth u. s. w. darunter), als unwichtig darzustellen. Auch blieben sie uneingepackt. Die eingepackten aber bekam ich erst 1814 zu Paris wieder zu sehen, als sie mir derselbe Huissier (er hieß Leloup), der sie hatte packen helfen, dort für den Kurfürsten wieder ausliefern mußte. Der Mann machte große Augen, als er mich erblickte.

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Jacob Grimm: Selbstbiographie. Chr. Garthe, Marburg 1831, Seite 157. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Selbstbiographie_(Jacob_Grimm).pdf/10&oldid=- (Version vom 1.8.2018)