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hatten, wurde nunmehr die Bibliothek unter den Befehl des Oberhofmarschallamts gestellt, von diesem sollte in Zukunft jede zu leistende Zahlung verfügt und bewirkt werden. Ob dadurch der herrschaftliche Dienst gewonnen hat, will ich nicht beurtheilen; so viel ist sicher, daß dadurch alle Zahlungen aufgehalten und daß dem Bibliothekar die Hände gebunden wurden, vortheilhafte Ankäufe gleich zu benutzen, wenn er nicht das Geld aus seiner eignen Tasche vorschießen wollte. Jene Behörde forderte aber hernach außerdem, daß zum Behuf einer nothwendigen Controlle ihr eine Abschrift des gesammten Katalogs (der aus 79 oder 80 Folianten bestand) binnen kurzer Zeit eingereicht würde. Gegenvorstellungen fruchteten nichts, und wir mußten, der alte Völkel, mein Bruder und ich, wirklich Hand anlegen und ohngefähr anderthalb Jahre die edelsten Stunden auf diese Abschrift, deren Zweck wir nicht einsahen, verwenden. Man arbeitet noch alles gern, was irgend einen Nutzen hat, aber dies Geschäft, gestehe ich, ist mir das sauerste in meinem Leben geworden, und hat mich Stunden und Tage lang verstimmt. Nützlich für die Bibliothek wurde die von dem jetzt regierenden Kurfürsten befohlne Abgabe eines Theils der Wilhelmshöher an die unsrige (etwa 2000 Bände); manche alte Bekannte giengen mir von neuem durch die Hand. Im Januar 1829 starb Völkel, dem ich ein längeres Leben zugetraut und sicher von Herzen gegönnt hätte. Wir bildeten uns ein, gerechten Anspruch auf Beförderung zu haben, ich war 23 Jahre im Dienst, ich hatte seit 1816 niemals um Zulage angehalten und niemals eine erlangt; auch hoffte ich der Bibliothekarstelle keine Unehre gemacht zu haben. Allein es schlug anders aus. Der, soviel ich mich erinnere, im Jahr 1819 oder 1820 von Marburg nach Kassel als Historiograph versetzte Professor Rommel erhielt zu jener Zeit daneben die Aufsicht über die Urkunden des Hofarchivs, unter dem Titel eines Staatsarchivdirektors. Vor der französ. Okkupation hatte sich das Hofarchiv in einer gewölbten Kammer des alten Schlosses befunden, war also seit 1814 nothwendig in einem anderen Lokal untergebracht worden, wo es verblieb, bis 1824 oder 1825 in einem Zimmer des Museums die Wachsbilder der alten Landgrafen weggeräumt wurden; das Zimmer wurde hernach zur Aufnahme des Archivs auserlesen. Diese lockere Verbindung zwischen Museum und Archiv sollte sich nunmehr zu einer festen stärken. Herr von Rommel (seit 1828 in den Adel des Kurfürstenthums erhoben) wurde mit Beibehaltung seiner bisherigen Posten auch zum Direktor der Bibliothek und des Museums bestellt. Ich blieb, was ich seit 1816 war, zweiter Bibliothekar, mein Bruder, was er seit 1815 war, Sekretar,

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Jacob Grimm: Selbstbiographie. Chr. Garthe, Marburg 1831, Seite 160. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Selbstbiographie_(Jacob_Grimm).pdf/13&oldid=- (Version vom 1.8.2018)