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jeder von uns empfieng 100 Rthlr. Zulage. Hiermit war uns beiden weitere Aussicht auf künftige Beförderung abgeschnitten. Die Sache hätte, auch wenn von Rommels Ansprüche berücksichtigt werden sollten, auf mehr denn eine Art anders eingerichtet werden können. Zum Beispiel, er hätte die Direktion des Museums erhalten mögen, wenn ich den Posten eines Archivarius, mit angemessenem Gehalt, bekommen hätte, und mein Bruder zum Bibliothekar ernannt worden wäre. Einem Archiv vorzustehen und ein so reiches und wenig benutztes, wie das hessische, nach Lust bearbeiten zu können, hätte meiner innern Neigung noch mehr zugesagt, als die Bibliotheksstelle. Der alte, simple Archivariustitel hätte mir auf Lebenslang genügt, und keiner Direktion so wenig wie früherhin es bedurft. Indessen bin ich nie von jemand gefragt worden und hütete mich wohl Vorschläge verlauten zu lassen. Ich hatte mich ganz einfach um die erste Bibliotheksstelle gemeldet, als um das Gerechteste und was sich beinahe von selbst verstand. Die getroffene neue, alle bescheidenen Wünsche vernichtende Einrichtung mußte mich tief kränken. Ich hatte einen im Jahr 1816 durch Eichhorn indirekt mir geschehnen Antrag einer Professur zu Bonn geradezu abgelehnt und keiner Art Vortheil daraus zu ziehen gesucht, weil ich in Hessen zu leben und zu sterben dachte. Damals aber wäre es mir gewiß leichter und vortheilhafter gewesen, mich der akademischen Laufbahn zu widmen, als später. Unter der Hand geschah uns nun im Sommer 1829 der Antrag, einem ehrenvollen Rufe nach Göttingen zu folgen. Alle zu Rath gezognen Freunde ermahnten dazu aus Kräften. Die geliebte und gewohnte Heimath aufzugeben schien uns hart und schmerzhaft wie vorher, aus dem Geleise genau bekannter Beschäftigungen und einer uns Frucht bringenden Muße herauszutreten, fast unerträglich. Allein auch in dem Verhältniß zu einem neuen Vorgesetzten, der wo er eingreifen oder schonen sollte, selbst noch nicht zu wissen schien, lag etwas Peinliches und Unheimliches. In dieser Stimmung folgten wir dem Gefühl der Ehre, und entschieden uns für die unbedingte Annahme des Gebotenen. Unterm 20. Okt. erfolgte zu Hannover die förmliche königliche Vokation, die mich zum ordentlichen Professor und Bibliothekar, meinen Bruder zum Unterbibliothekar ernannte, mit angemessenen Besoldungen, die unsrer steten Nahrungssorge im hessischen Dienst ein Ende machten. Schon unterm 30. Okt. wurde zu Kassel unsere Entlassung ausgefertigt. Neujahr 1830 haben wir die hiesigen Stellen angetreten. Wir sind von allen Kollegen zu Göttingen freundschaftlich aufgenommen worden, mein erstes Kollegium lese ich diesen Sommer über deutsche Rechtsalterthümer. Zwar sind die

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Jacob Grimm: Selbstbiographie. Chr. Garthe, Marburg 1831, Seite 161. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Selbstbiographie_(Jacob_Grimm).pdf/14&oldid=- (Version vom 1.8.2018)