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war ich noch zurück, aber nicht durch meine Schuld, sondern durch bloßen Mangel an Unterricht, denn ich hatte von Jugend auf eine ungeduldige, anhaltende Lernbegierde. Jetzt rückte ich schnell durch alle Klassen hinauf und war wohl fast immer ein Primus; die Samstags-Morgen, an denen durch ein Exerzitium zertiert wurde, waren wichtige, heiße Tage. Ueberdenke ich meine Kasseler Schuljahre von 1798 bis 1802, so erkenne ich zwar dankbar, wie mancherlei ich in dieser Zeit gelernt habe, aber es kommt mir doch vor, als wenn das damalige Lyzeum bei weitem nicht unter die vollkommensten Anstalten seiner Art gerechnet werden durfte. Der Vorsteher des Ganzen war Prof. Richter, ein gründlicher Philolog, ich glaube in Ernesti’s Schule gebildet, und er wußte auch durch seinen herzlichen Unterricht alle Schüler zu gewinnen; aber die Last eines hohen Alters hatte ihn zu meiner Zeit bereits allzusehr geschwächt. Der Konrektor Hosbach war ein hypochondrischer Mann, voll Laune, ungleich, und man sah ihm an, daß ihm das Lehren keine Freude machte. Der vierte Lehrer, Kollaborator Robert hatte sich durch seine ungeschickte Methode traditionsmäßig um die Achtung der Schüler gebracht, seine Stunden vergiengen in Unordnung, ohne rechte Frucht. Bei dem damaligen dritten Lehrer, dem noch jetzt als Professor und Rektor an derselben Schule stehenden Kollab. Cäsar gieng es zwar ordentlicher, und es wurde gelernt, aber hingezogen fühlte ich mich doch nie zu seinem Unterricht (wie zu dem des seel. Richter), welches vielleicht mit davon herrührte, daß er mich nach alter Sitte er anredete, während alle meine Schulkameraden aus der Stadt ein Sie bekamen, vermuthlich weil ich vom Lande her in die Stadtschule aufgenommen worden war. Solche Ungleichheit, die auch seitdem gewiß lange abgestellt worden ist, sollte sich ein Lehrer nie erlauben, weil sie von allen Schülern lebhaft wahrgenommen wird. Aber auch der Unterricht selbst, wie er damals auf dieser gutsundierten Schule im Ganzen ertheilt wurde, ist mir hernach in mancher Beziehung mangelhaft vorgekommen. Es wurde viel Zeit mit Stunden über Geographie, Naturgeschichte, Anthropologie, Moral, Physik, Logik und Philosophie (was man Ontologie nannte) meist nach Ernesti initia doctr. sol. verthan, und dem philologischen und historischen Unterricht, welche die Seele aller Jugenderziehung auf den Gymnasien seyn müssen, abgebrochen. Unter den Mitschülern, die auf derselben Bank oder an denselben Tischen saßen und mit denen ich vertrauter umgieng, will ich den verstorbenen Ernst Otto von der Malsburg und Paul Wigand nennen, die sich beide in der Folge, wiewohl auf sehr verschiedne

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Jacob Grimm: Selbstbiographie. Chr. Garthe, Marburg 1831, Seite 150. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Selbstbiographie_(Jacob_Grimm).pdf/3&oldid=- (Version vom 1.8.2018)