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nicht, um Gelegenheit zu haben, eine Rezension meiner Schriften zu liefern, nur eine Bemerkung sey mir erlaubt, die vielleicht als eine Entschuldigung gilt. Studien und Richtung derselben haben wir in der Gewalt, und dabei sollen wir nach einem bestimmten Plane verfahren; die allgemeinere und breitere Anlage pflegt sich in der Folge zusammen zu ziehen und der Umkreis durch Beschränkung mehr Festigkeit und Sicherheit zu erlangen. Ich setze dabei voraus, daß äußere Verhältnisse nicht hemmend dazwischen treten und höhere Sorgen und Pflichten nicht andere Wege vorzeichnen. Dagegen ist die Ausarbeitung der Bücher selbst bei mir mehrmals von einem bloßen Zufalle abhängig gewesen. Zu der Schrift über deutsche Runen veranlaßte mich ein Fund in einem alten Grabhügel, der an sich sehr zweifelhaft war und in dem Buche selbst als eine geringe Nebensache erscheint. Ich bin schon längere Zeit mit einer Ausgabe von Freidanks Sprüchen beschäftigt; schnell können Arbeiten dieser Art nicht zu Stande kommen, weil die Handschriften, deren Werth erst auszumitteln ist, nicht so schnell anlangen, als man wünscht oder Versprechungen hoffen lassen. In der Zwischenzeit sorgte ich für die Herausgabe des Grafen Rudolf, wovon die Fragmente in meine Hände kamen, und als diese Arbeit beendigt war, bemerkte ich, daß meine fortgeführte Sammlung für die deutsche Heldensage zu stark herangewachsen war, als daß ich sie länger ohne Ausarbeitung übersehen könnte. Ich entschloß mich also dazu, aber sie kostete mehr als die dafür bestimmte Zeit, und die Untersuchung selbst führte mich weiter, als ich anfänglich geglaubt hatte. Zwar kehrte ich wieder zu der früheren Aufgabe zurück, denn eine gewisse zähe Anhänglichkeit an einen einmal gefaßten Plan ist an mir, ich weiß nicht ob zu rühmen oder zu tadeln, aber nun kam die neue Ausgabe des Liedes von Hildebrand dazwischen, veranlaßt durch den bevorstehenden Abschied von Kassel. So lange ich den alten Kodex wie oft ich wollte in die Hand nehmen konnte, hatte ich eine Abbildung desselben, deren Nutzen ich wohl einsah, immer aufgeschoben, jetzt gedachte ich damit ein Stück des bisher besessenen mitzunehmen, und der Sorgfalt, mit der ich sie fertigte, mag dieser Gedanke nicht geschadet haben. Meinem Bruder habe ich die paar Blätter zugeeignet, nicht als ein Zeichen der Liebe oder als eine Erinnerung der dort verlebten Jahre, weder des einen noch des andern bedarf es, sondern weil ich sie als die einzige Arbeit von mir betrachte, die nicht leicht durch eine bessere könnte ersetzt werden. Ob ich jetzt ohne Störung den Freidank beendigen kann, der doch nur von geringem Umfange ist, wird

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Wilhelm Grimm: Selbstbiographie. Chr. Garthe, Marburg 1831, Seite 174. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Selbstbiographie_(Wilhelm_Grimm).pdf/11&oldid=- (Version vom 1.8.2018)