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auf dem Markte halten, und seine ernsten, von den weißen Augenbraunen beschatteten Züge sich ein wenig erheitern, als er einem Bürger, den er von seinem früheren Aufenthalt in Halle her kennen mochte, die Hand vom Pferde herab reichte. Damals schien er bei seinem Abzuge uns Allen verloren, aber er hatte recht gehabt, dem Glücke zu vertrauen, und er glich dem Muthigen, der bei dem Sturm sich aus dem Schiff herab ins Meer wirft, und von den Wellen glücklich an’s Ufer getragen wird. Nachdem der unglückliche Friede abgeschlossen war, schien Alles verloren und die französische Gewalt das feste Land von Europa auf eine Weise zu umstricken, daß man glauben mußte, es dürfe ohne ihren Willen fortan kein Glied mehr frei bewegen. Allein mitten in solchem Zustande völliger Hoffnungslosigkeit, der, gewöhnlicher Ansicht nach, keinen Zweig mehr darbietet, nach dem der Herabstürzende greifen kann, ersteht in dem menschlichen Herzen das Vertrauen auf Gottes Beistand; das Aeußerste, das eingetreten ist, scheint zugleich der Anfang einer bessern Zeit, und man fühlt sich von der Sorge befreit, nachzusinnen, auf welchem Wege die Hülfe kommen werde. Im Spätherbste reis’t ich nach Berlin, Achim von Arnim zu besuchen, den wir schon früher hatten kennen lernen und dessen liebevolle Gesinnung zu allen Zeiten unverändert geblieben ist. Berlin war damals stiller und einsamer als je, das königliche Haus noch in Königsberg, nur die Kurprinzessin, jetzige regierende Kurfürstin von Hessen, bewohnte einen Theil des Schlosses. Ich sah in ihrem Vorzimmer das von Bury gemalte Bild des kleinen Prinzen, der in kindlichem Spiele eine weiße Fahne muthig aufrecht hielt, in welcher kein Wappen mehr war, gleich als wolle er es von neuem erobern; mir gefiel dieser sinnvolle Gedanke, aber nur meiner Wünsche dabei war ich gewiß. Mich trieb hessische Anhänglichkeit, der Kurprinzessin persönlich meine Verehrung zu bezeigen, und diese erhabene Frau, durch Geist und reiche Bildung ebenso ausgezeichnet, als durch Adel der Gesinnung, hat sich hernach bei der Wiederherstellung gegen mich und die Meinigen allzeit gnädig erwiesen. So trübe damals die Aussicht in die Zukunft war, so erinnere ich mich doch mit Vergnügen der in Berlin zugebrachten Monate und selbst der fröhlichsten Stunden. Ein gutes Naturell verläugnet sich auch unter solchen Umständen nicht, und nur als Beispiel nenne ich Buttmann, dessen frische Lebendigkeit gewiß in den glücklichsten Zeiten sich nicht steigern konnte.

Auf dem Rückwege durch Weimar, am Schlusse des Jahrs, ward mir das Glück zu Theil, Göthe zu sehen. Noch deutlich bin ich mir der Stimmung bewußt, mit welcher ich zum

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Wilhelm Grimm: Selbstbiographie. Chr. Garthe, Marburg 1831, Seite 177. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Selbstbiographie_(Wilhelm_Grimm).pdf/14&oldid=- (Version vom 11.5.2020)