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O Herr vatter Jesu Christ,
Wann du allein ein Herre bist,
Du hast uns die Sünd macht zu vergeben,
Nun gefrist uns hie vnser Leben,
Dass wir beweinen Deinen Tod,
Wir clagen Dir Herr all vnser noth.

Ein anderes Lied, das beim Umgang um den Kirchhof gesungen wurde, hat einen derberen Character:

Tretten herzu, wer busen will,
So flihen wir die heise hell,
Lucifer ist ein böser Gesell,
Wen er hat,
Mit Bech er jhn labt.

Aber der Menschen Sinn vergisst gar bald Leid und Ungemach, das sie betroffen hat. Nach den Schrecken der verheerenden Krankheit, nach den Bussübungen der Geisselfahrten und der fanatischen Verfolgung der Juden, denen man die Ursache der Seuche zuschrieb, „da hub die Welt wider an zu leben vnd frölich zu sein“. Und manche Minnelieder, die man zu dieser Zeit „sung vnd pfiff“, bald im zarten Tone der ersten Minnesinger gehalten, bald in schalkhaftem Spott sich ergehend, zeugen von der Lebenslust, welche die Gemüther wieder erfüllte. Eins derselben, das die Chronik „ein gut Lied von weiss vnd von worten“ nennt, „vnd das man durch gantz Teutschland sang“, sei angeführt:

Ach reines weib von guter art
Gedenk an alle Stetigkeit,
Dass man auch nie von dir sait,
Das reinen weiben vbelsteit,
Daran sol tu nu gedencken,
Vnd sollt von mir nit wencken,
Dieweil dass Ich das leben han.

Noch ist mir eine clage noth
Von der liebsten Frauwen mein,
Dass jhr zartes mündlein roth
Will mir vngenedig sein.
Sie will mich zu grund verderben,
Vntrost will sie an mich erben,
Dazu en weiss ich keinen Raht.

Empfohlene Zitierweise:
August Spieß: Das Lahntal von seinem Ursprung bis zur Ausmündung nebst seiner nächsten Umgebung. Verlag von L. J. Kirchberger, Dillenburg 1866, Seite 121. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Spiess_Das_Lahnthal.pdf/154&oldid=- (Version vom 1.8.2018)