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redeten! Als ob nicht gerade dieser Krieg die Inferiorität aller Nationalverbände gegenüber dem Staatsverbande predigte! Als ob es eine ausgemachte Sache wäre, dass die Kulturwerte eines Volkes mit seiner politischen Machtstellung steigen und fallen! – Dann das gefährliche Zischeln einer bösen Versuchung, die uns im Namen der Freundschaft und des Dankes verführen möchte, etwas zu tun, was selbst die beste Freundschaft und der wärmste Dank zu tun weder verpflichtet noch erlaubt: auf unsere Begriffe von Wahr und Unwahr zu verzichten, jemand zuliebe unsere Überzeugungen von Recht und Unrecht zu fälschen. – Noch etwas Böses und Gefährliches: Der Parteinahme winkt unmässiger Lohn, der Unparteilichkeit drohen vernichtende Strafen. Mit elenden sechs Zeilen unbedingter Parteinahme kann sich heute jeder, der da mag, in Deutschland Ruhm, Ehre, Beliebtheit und andere schmackhafte Leckerbissen mühelos holen. Er braucht bloss hinzugehen, sich zu bücken und es aufzuheben. Mit einer einzigen Zeile kann einer seinen guten Ruf und sein Ansehen verwirken. Es braucht nicht einmal eine unbesonnene oder versehentliche Zeile zu sein. Ein mannhafter, wahrhaftiger Ausspruch tut denselben Dienst. Wir müssen uns eben die Tatsache vor Augen halten, dass im Grunde kein Angehöriger einer kriegführenden Nation eine neutrale Gesinnung als berechtigt empfindet. Er kann das mit dem Verstande, wenn er ihn gewaltig anstrengt, aber er kann es nicht mit dem Herzen. Wir wirken auf ihn wie der Gleichgiltige in einem Trauerhause. Nun sind wir zwar nicht gleichgiltig. Ich rufe Ihrer aller Gefühle zu Zeugen an, dass wir nicht gleichgiltig sind. Allein da wir uns nicht rühren, scheinen wir gleichgiltig. Darum erregt

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Carl Spitteler: Unser Schweizer Standpunkt. Rascher & Cie., Zürich 1915, Seite 13. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:SpittelerUnserSchweizerStandpunkt.pdf/15&oldid=- (Version vom 1.8.2018)