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Staatsvertrag von Saint-Germain-en-Laye. In: Staatsgesetzblatt für die Republik Österreich. Jahrgang 1920, S. 995–1244

Artikel 21.

Internationale Abreden wie Schiedsgerichtsverträge und Abmachungen über bestimmte Gebiete wie die Monroedoktrin, welche die Erhaltung des Friedens sicherstellen, gelten nicht als mit einer der Bestimmungen der gegenwärtigen Satzung unvereinbar.

Artikel 22.

Auf die Kolonien und Gebiete, die infolge des Krieges aufgehört haben, unter der Souveränität der Staaten zu stehen, die sie vorher beherrschten, und die von solchen Völkern bewohnt sind, die noch nicht imstande sind, sich unter den besonders schwierigen Bedingungen der heutigen Welt selbst zu leiten, finden die nachstehenden Grundsätze Anwendung: Das Wohlergehen und die Entwicklung dieser Völker bilden eine heilige Aufgabe der Zivilisation und es ist geboten, in die gegenwärtige Satzung Bürgschaften für die Erfüllung dieser Aufgabe aufzunehmen.

Der beste Weg, diesen Grundsatz durch die Tat zu verwirklichen, ist die Übertragung der Vormundschaft über diese Völker an die fortgeschrittenen Nationen, die auf Grund ihrer Hilfsmittel, ihrer Erfahrung oder ihrer geographischen Lage am besten imstande sind, eine solche Verantwortung auf sich zu nehmen, und die hierzu bereit sind; sie hätten die Vormundschaft als Mandatare des Bundes und in seinem Namen zu führen.

Die Art des Mandates muß nach der Entwicklungsstufe des Volkes, nach der geographischen Lage des Gebietes, nach seinen wirtschaftlichen Verhältnissen und allen sonstigen Umständen dieser Art verschieden sein.

Gewisse Gemeinwesen, die ehemals zum türkischen Reiche gehörten, haben eine solche Entwicklungsstufe erreicht, daß sie in ihrem Dasein als unabhängige Nationen vorläufig anerkannt werden können, unter der Bedingung, daß die Ratschläge und die Unterstützung eines Mandatars ihre Verwaltung bis zu dem Zeitpunkte leiten, wo sie imstande sein werden, sich selbst zu leiten. Bei der Wahl des Mandatars sind in erster Linie die Wünsche jener Gemeinwesen zu berücksichtigen.

Die Entwicklungsstufe, auf der sich andere Völker, insbesondere die mittelafrikanischen befinden, erfordert, daß der Mandatar dort die Verwaltung des Gebietes übernimmt.[1] Doch ist dies an Bedingungen geknüpft. Außer der Abstellung von Mißbräuchen, wie Sklaven-, Waffen- und Alkoholhandel muß Gewissens- und Religionsfreiheit lediglich mit

  1. Der englische Text lautet übersetzt: „daß der Mandatar verantwortlich für die Verwaltung des Gebietes sein muß“.

Empfohlene Zitierweise:
: Staatsvertrag von Saint-Germain-en-Laye. In: Staatsgesetzblatt für die Republik Österreich. Jahrgang 1920, S. 995–1244. Österreichische Staatsdruckerei, Wien 1920, Seite 1021. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Staatsgesetzblatt_(Austria)_1920_1021.jpg&oldid=- (Version vom 24.2.2023)