Seite:Stahlstich-Sammlung der vorzüglichsten Gemälde der Dresdener Gallerie.pdf/130

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

einen Augenblick, wie es schien, nicht ohne Wohlgefallen, dann grüßte sie ihn mit offenem Lächeln. Dieses Lächeln hatte aber noch gefehlt, um Lord John um den Verstand zu bringen. Der Eindruck, welchen die Dame auf den leidenschaftlichen, wüsten Hofmann machte, ward so stark, daß sich Rochesters Gesichtsfarbe veränderte; sie ward bleich, während seine braunen Augen zu blitzen begannen. Er trat rasch auf die junge Dame zu, ergriff ihre schöne Hand, stammelte einige Worte und preßte einen langen Kuß auf ihre Finger. Rochester bemerkte gar nicht, welche Anstrengungen die Schöne machte, um sich ihm zu entziehen; er besann sich erst, als die Bestürzte mit lauter Stimme nach ihren Dienern rief, um sich von dem Ungestümen zu befreien. – In der Minute darauf stand Cornelius de Witt vor dem Engländer, welcher inzwischen auf die Kniee niedergesunken war, der Rathspensionair ergriff die Dame am Arme, befreite sie von dem Lord und stand, heftigen Zorn in jeder Miene zeigend, dem Unbesonnenen gegenüber.

– Ihr seid kein Cavalier! rief de Witt außer sich. Ihr seid ein Elender! Entfernt Euch auf der Stelle und verlaßt das Land, dem Burschen Eures Gelichters nur Schande und Schmach bringen können! Verweilt Ihr, der Ihr Euch Graf Rochester nennt, auf holländischem Gebiete noch vierundzwanzig Stunden, so lasse ich Euch aufknüpfen!

John hatte inzwischen seine Fassung wiedergewonnen. Er warf noch einen Blick auf die eben am Ende der Gallerie verschwindende Dame, sandte ihr Kußfinger hinüber, hing sein Schwert nachlässig zurecht und verbeugte sich vor dem Niederländer mit höhnischem Lächeln.

– Ich bitte um Verzeihung, guter Freund, sagte er abgehend; ich hatte vergessen, daß ich mich im Lande der Wallrosse und Seehunde befinde, die natürlich noch keine Galanterie studirten. Uebrigens versichere ich Euch, mein ehrenwerther Mynheer, daß mich weder Eure Stricke noch Eure Schwerter abhalten sollen, mich hier so gut als möglich zu unterhalten . . .

John reisete nicht ab, indeß hielt er es für gut, sich zu verbergen. Er war fest entschlossen, nicht von dannen zu gehen, ohne sich der königlichen, schönen Dame im Palaste de Witts bemächtigt zu haben. Er unterhielt sich mit seiner dicken Wirthin und erfuhr, daß diese keine andere, als Minna de Witt, die Tochter des alten Helden selbst gewesen sei. Wie aber sich ihr nähern? Rochester, der Vielgewandte, brachte durch seine Fragen heraus, daß sich in dem Fischerdörfchen am Strande, jetzt das reizende Scheveningen, eine Frau befinde, welche die ausgezeichnetste Geschicklichkeit besitze, heimliche Liebschaften und Rendezvous zu vermitteln. An demselben Abende stand Rochester vor der niedrigen Hütte des Weibes und trat bei ihr ein. Er fand eine alte, ungewöhnlich schlau blickende Sibille, Mara mit Namen, eine Jüdin, die außer sonstigen mystischen Künsten sich vortrefflich auf das Kartenschlagen und auf das Wahrsagen aus der Hand verstand.

– Wen willst Du sehen und sprechen? fragte die alte Hexe.

– Minna de Witt!

Mara schlug die Hände über die Brust und schwieg unverbrüchlich. Rochester hielt es für nothwendig, ihr durch eine Banknote die Sprache wiederzugeben.

– Gut, sagte sie. Du bist ein Edelmann und zwar ein englischer; nimmer noch habe ich so viel Geld auf einmal in der Hand gehabt, als heute Abend. Zur Gehenna denn mit dem armen Capitain Brakel, der mir kaum noch für ein Glas Tafia bezahlt hat.

Empfohlene Zitierweise:
Text von Adolph Görling: Stahlstich-Sammlung der vorzüglichsten Gemälde der Dresdener Gallerie. Verlag der Englischen Kunst-Anstalt von A. H. Payne, Leipzig und Dresden 1848−1851, Seite 113. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Stahlstich-Sammlung_der_vorz%C3%BCglichsten_Gem%C3%A4lde_der_Dresdener_Gallerie.pdf/130&oldid=- (Version vom 1.8.2018)